Abaton
größeren Zusammenhang stand, auch wenn sie nicht wusste, in welchem. Dass es irgendwie mit ihr, mit ihrem Leben, zu tun hatte. Wahrscheinlich würde sie kein Auge zutun, fürchtete sie. Doch sobald sie sich hingelegt hatte, schlief sie sofort ein. Es war ein tiefer, traumloser Schlaf.
[ 1263 ]
Als Edda die Augen aufschlug, schien der Mond wie kaltes Silber in ihr Zimmer. Die Glasharfe auf der Veranda klimperte und aus der Ferne grollte neuer Donner heran. Ein greller Blitz verlieh den Gegenständen scharfe Konturen. Laut krachend entlud sich der Donner. Und in das Donnern mischte sich ein Schrei, der sich anhörte wie das Aufheulen eines Tieres.
Ein Tier, das Edda kannte. Sie brauchte einen Augenblick, um sich daran zu erinnern, dass ihre Mutter zurück war. Alarmiert sprang Edda auf und rannte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss.
Wieder das Aufheulen. Es kam nicht aus dem Gästezimmer. Es kam von draußen. Edda öffnete die Tür zum Gästezimmer. Ihre Mutter war nicht dort. Das Bett war unberührt.
Durch das Fenster sah Edda sie. Eine zusammengekauerte Gestalt im Garten, die im Mondlicht auf den Knien hockte, den Kopf in den Nacken warf und heulte wie ein tief verletztes Tier. Sie senkte den Kopf und wiegte den Körper vor und zurück. Die Geräusche, die sie dabei ausstieß, fuhren Edda durch Mark und Bein.
Sie rannte in den Garten hinaus, in den Regen und den Sturm. Edda kniete sich neben ihre Mutter und legte den Arm um sie. Doch sie reagiert nicht. Sie starrte in eine Welt, die Edda nicht sehen konnte.
Das Grollen des Donners nahm zu, die Blitze zerteilten den Nachthimmel. Wieder ließ sich die Glasharfe vernehmen. Im selben Momente heulte Eddas Mutter auf und hielt sich die Ohren zu. Sie krümmte sich, als hätte sie Schmerzen. Edda versuchte, ihre Mutter auf die Beine zu ziehen und zurück ins Haus zu bringen. Doch immer wieder sackte sie zusammen.
„Mama! Was machst du hier?“, schrie Edda gegen Sturm und Donner an.
Mit aller Kraft zog sie ihre Mutter hoch und in Richtung Haus. Sie spürte, wie ihre Mutter Schutz bei ihr suchte und ihr folgte. Als sie an der Veranda angekommen waren, sträubte sich Eddas Mutter erneut. Die Stäbe der Glasharfe schlugen im Wind gegeneinander und spielten ihr schönes, wildes Lied, das Edda so liebte. Doch ihre Mutter schrie und weinte.
Ob es der Klang der Glasharfe war, der sie so aufbrachte?, überlegte Edda.
„Es tut so weh!“, schrie sie und hielt sich die Ohren zu. „Tu was! Bitte, tu was!“ Sie klammerte sich an die Tochter und ihre Finger gruben sich schmerzhaft in deren Haut. Nur mit Mühe gelang es Edda, die Finger der Mutter von ihrem Arm zu lösen. Als die Glasharfe wieder ihr Lied anstimmte, geriet Eddas Mutter erneut in Panik und wollte in die Nacht zurückfliehen. Da griff Edda kurzerhand nach der Hacke, die auf der Veranda stand, und schlug die Glasharfe mit einem Schlag entzwei. Die Glasstücke splitterten, hüpften über die Veranda und nur noch das Brausen des Windes war zu hören.
Ihre Mutter stand erschöpft da. Edda nahm sie am Arm und führte sie ins Haus und ins Gästezimmer zurück, wo sie schluchzend aufs Bett sank.
„Wo sind deine Tabletten?“, wollte Edda wissen.
„Das hat sie extra getan, um mich fernzuhalten von hier. Von dir“, sagte Eddas Mutter, statt ihre Frage zu beantworten. Edda hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Aber sie wusste, dass sie Hilfe brauchte.
Erneut schlug ein Blitz in der Nähe ein und Eddas Mutter begann zu schreien und zu heulen. Schließlich kroch sie unter die Decke.
„Sie will, dass ich tot bin! Die Blitze ... sie sollen mich töten.“
„Wer, Mama, wer?“, fragte Edda. „Marie? Meinst du Marie?“
„Immer hat sie mich alleingelassen“, sagte die Mutter leise und nickte. „Und als ich sie alleingelassen hab, hat sie mich verdammt ...“
Edda ging zum Telefon und rief den Notarzt.
„Was hat sie denn?“, fragte die Frau in der Zentrale am anderen Ende.
Edda schluckte. Was sollte sie sagen? Angst vor Blitzen? Edda brachte es nicht über die Lippen.
„Was hat sie?“ Die Stimme der Frau klang ungeduldig. „Ich muss einen Grund angeben, sonst kann ich keinen Arzt rausschicken!“
„Meine Mutter ist geisteskrank“, sagte Edda dann ganz ruhig. „Ich hab Angst, dass sie wahnsinnig wird.“
Als der Notarzt nach einer Viertelstunde kam, hatte sich das Unwetter gelegt. Er gab Eddas Mutter eine Spritze in den Arm, die sie beruhigte.
„Ist es das erste Mal, dass deiner Mutter so
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