Abaton
plötzlich. Sie hatte sich in der Wohnung umgesehen und kehrte mit einer alten Flasche Champagner zurück. Linus nahm sie ihr aus der Hand und begann, den Drahtbügel über dem Korken zu öffnen. Edda schaffte drei Teetassen herbei und hielt sie Linus hin, der sie mit dem nur noch leicht schäumenden Champagner füllte.
„Auf uns!“
„Auf die Freundschaft!“
„Auf unsere Freundschaft!“
Sie blickten sich in die Augen, tranken die Tassen leer und Simon füllte nach. Doch Linus spürte, dass ihm der lauwarme Alkohol nicht bekam. Er machte ihn müde, lenkte seine Aufmerksamkeit ab, jetzt wo er meinte, kurz vor dem Ziel seiner detektivischen Kombination zu stehen. Wie konnte man jetzt Party machen?
Linus zog sich in den hinteren Teil der Wohnung zurück, während Edda und Simon die Sammlung von Schellackplatten durchsuchten.
Linus hatte sich noch einmal das Daumenkino der Sonnenräder vorgenommen und blätterte es langsam durch. Es waren so viel mehr Bilder, als er unten in der U-Bahn fotografiert hatte. Bestimmt war das hier die vollständige Sequenz. Nur so würde sich die ganze hypnotische Kraft der Bilder entfalten, da war er sich sicher. Aber er traute sich nicht, das Daumenkino ablaufen zu lassen, weil er nicht wusste, wie es auf ihn wirken würde.
Er hatte eine andere Idee. Er schaltete die Videokamera auf seinem Handy ein und nahm die gesamte Sequenz auf.
Derweil leerten Edda und Simon den Champagner und lasen sich gegenseitig die Namen und Titel von den alten Schellackplatten vor.
„Django Reinhardt, Jelly Roll Morton, Tiger Rag, Billy Holliday, Hot Club ...“
Linus ging noch mal die Dateien auf seinem I-Phone durch. Dabei stieß er auf eine kurze MP3-Datei, die er offenbar in der ersten Nacht im Camp aufgenommen hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern und spielte die Datei an. Simon hatte eine Platte aufgelegt und Edda betätigte die Kurbel des Grammofons. Mit einem Schlag erfüllte ein altes Jazzstück von Jelly Roll Morton und seinen Red Hot Peppers die Kellerwohnung. Edda und Simon begannen zu tanzen. Linus hielt sich ein Ohr zu, während er sich das I-Phone ans andere Ohr presste. Er hörte seine eigene Stimme, die ein Kennzeichen aufsprach, und plötzlich erinnerte er sich wieder. Es war die Nummer des Vans, den er durch das Nachtfernglas von der Lichtung an dem kleinen See wegfahren gesehen hatte.
Linus stand auf und ging an Edda und Simon vorbei auf die Straße, wo er Empfang hatte, und rief Tarik an.
Es dauerte eine Weile, bis er abnahm.
Linus gab ihm die Autonummer und bat ihn zurückzurufen, sobald er wusste, auf wen der Wagen angemeldet war. Dann schaute er sich auf der Straße um.
Noch immer hatte er keine Erklärung dafür, wie er hierhergefunden hatte. Wobei finden wohl nicht das richtige Wort war. Wie an einer verdammten Schnur gezogen, war er in die Wohnung von Eddas Großmutter gelangt. Es musste irgendetwas mit diesen Frequenzen zu tun haben, von denen Olsen gesprochen hatte. Mit diesem MK-Ultra-Zeug.
Durchs Fenster schaute Linus zu, wie Edda im Souterrain ausgelassen mit Simon herumhottete. Wie selbstverständlich sie sich ihres Körpers bewusst war und sich darin bewegte.
Wie passte Edda in diese Welt von MK-Ultra-Programmen, Gehirnwäsche und unhörbaren Frequenzen? Offenbar war sie in der Lage, seine Gedanken zu empfangen und ihre an ihn zu senden. Hatte Clint auch ihr einen Besuch abgestattet? War es ihm gelungen, Edda diesen Wellen auszusetzen? Ohne dass sie es gemerkt hatte?
Warum konnten sie ohne Worte kommunizieren? Bei Simon funktionierte es nicht. Bei anderen auch nicht.
Vielleicht war es Liebe, dachte Linus. Er hatte gehört, dass sich Menschen, die sich liebten, auch ohne Worte verständigen konnten. Großartige Weisheit. Sofort schob sich Judiths Bild in sein Bewusstsein. Wieder wanderte sein Blick zu Edda. Wieso hing sie mit Simon ab, wo sie sich doch mit ihm, Linus, nonverbal verständigen konnte und nonverbale Verständigung Liebe bedeutete?
Wahrscheinlich war das mit der Liebe Quatsch. Wenn es wirklich in beide Richtungen funktionierte, musste sie seine Liebe erwidern. Oder konnte sie seine Gedanken lesen und damit auch das, was er über sie dachte? Nein, dann wüsste er, ob sie ihn mochte oder nicht. Scheiße, das war komplizierter als MK-Ultra und Frequenzen und dieser ganze Kram. Das konnte er jetzt nicht brauchen.
Tarik rief zurück. „Der Wagen ist zugelassen auf eine Firma in Berlin. gene-sys .“
Volltreffer! Linus bedankte
Weitere Kostenlose Bücher