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Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Titel: Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kraemer
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der spanischen Wand auftauchte und er scherzhaft eine seiner dichten Augenbrauen hob, die seinem Gesicht etwas Gutmütiges, aber auch etwas Brummiges, Strenges verliehen.
    „Steh endlich auf, faule Liese! Fast schon Mittag“, sagte er.
    Marie setzte die nackten Füße auf den kalten Boden der Wohnung im Souterrain und zog sie gleich wieder zurück unter die Decke. Sie blinzelte Bernikoff an und streckte sich. Er schob ihr seine Pantoffeln hin und ihre Füße schlüpften hinein wie in eine warme Höhle.
    „Ich hab wieder von dem großen Schiff geträumt ...“
    „Ein gutes Zeichen. Heute ist unser großer Tag!“
    Mit einem Schlag war Marie hellwach. Er hatte recht: Heute Abend würde sie als Assistentin dabei sein, wenn Carl Friedrich Bernikoff als der Große Furioso im Wintergarten auftrat. Nicht vor normalem Publikum – wie Marie es mittlerweile gewöhnt war –, sondern vor einer geschlossenen Gesellschaft aus Offizieren und Größen des Dritten Reichs. Und auch ER würde dort sein. Der Mann, den alle fürchteten. Für diesen Auftritt hatte Bernikoff einen waghalsigen Plan entworfen, der den Lauf der Welt verändern sollte ...
    | 2P02 |
    Gebannt und sprachlos stand Greta vor dem Monitor in der Zentrale von GENE-SYS und starrte auf das Gesicht von Bernikoff, das in der Vergrößerung noch einmal über den Bildschirm flimmerte. So wie es die junge Marie damals gesehen hatte. Dann wanderte Gretas Blick nach nebenan. Hinter einer Scheibe, in der Realität, lag die alte Marie. An ihrem Kopf angeschlossen Drähte und Elektroden, die ihre über Hirnströme transportierten Erinnerungen in Bilder verwandelten.
    „ER!“, sagte Greta mit leiser Stimme. „Und was war das für ein Plan? Wenn Bernikoff Hitler tatsächlich persönlich begegnet wäre, dann gäbe es doch irgendwo Aufzeichnungen darüber!“
    Aber die gab es nicht. Greta wusste das. Schließlich hatte sie alles studiert, was jemals von oder über Carl Bernikoff geschrieben worden war.
    Sie überlegte. Entweder stand sie vor der Entdeckung einer kleinen Sensation oder sie war die ganze Zeit Zeuge von Maries kindlichen Fantasien gewesen.
    „Nach all den Jahren scheint sie sich sogar an die kleinsten Details in der Wohnung zu erinnern“, sagte Louise in die Stille. Sie war das exakte Ebenbild von Marie, ihrer Zwillingsschwester. In ihrer Stimme schwang ein Ton der Bewunderung.
    Das Bild auf dem Monitor pixelte aus und das Gesicht Bernikoffs, das Maries Erinnerung auf den Bildschirm gerufen hatte, verschwand. Greta schaute zu dem Mann, der den Computer steuerte, an den Marie angeschlossen war. Professor Victor Gabler, Neurologe, Hirnforscher und wissenschaftlicher Leiter von GENE-SYS in Boston, pegelte die Reizströme nach unten.
    „Ihr Körper muss sich erholen. Für sie ist es, als durchlebe sie alles noch einmal.“
    Er blickte zu Marie, die immer noch in Trance in ihrem Bett lag.
    Maries Brustkorb hob und senkte sich ruhig.
    Sie bewegte sich leicht im Schlaf und auf dem Bildschirm formten sich die nächsten Bilder.
    „Ist das denn ... nicht gefährlich?“, wollte Louise wissen.
    Bevor jemand auf ihre Frage antworten konnte, betrat die Leiterin der Überwachungszentrale den Raum. Greta blitzte sie an. Sie hasste diese Unterbrechungen.
    „Die Kinder ... die Kritische Masse ...“, rechtfertigte sich die Frau und kaute ruhig ihr Kaugummi. „Sie haben die Innenstadt verlassen. Sind zwei Komma drei Kilometer entfernt und kommen näher. Wir haben sie auf dem Schirm.“
    Greta wandte sich der Kollegin zu, die interessiert auf den Monitor schaute, auf dem Victor die bisher gespeicherten Bilder aus Maries Vergangenheit kontrollierte.
    „Ich bin darüber informiert“, sagte Greta scharf. „Die Kinder kommen, um Marie zu befreien. Kein Problem. Keine Gefahr.“
    Die Leiterin der Überwachungszentrale schüttelte den Kopf. Schmatzend kaute sie ein paarmal, bevor sie den Mund wieder öffnete.
    „Darum geht’s nicht. Die Kinder sind in Gefahr!“
    Wie auf ein Zeichen flackerte kurz das Licht. Auf dem Monitor gefroren Maries Erinnerungen zu einem Standbild.
    „Wenn man vom Teufel spricht!“ Die Kaugummi-Frau deutete nach oben. „Gewitter ...“
    Im gleichen Moment hörten sie das dumpfe Grollen, mit dem sich das Gewitter direkt über dem Teufelsberg entlud.
    Eilig erhob sich Greta und folgte besorgt der Leiterin in die Überwachungszentrale. Nicht ohne Victor anzuweisen, mit dem Experiment fortzufahren. Maries Erinnerungen traten in die entscheidende Phase.

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