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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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Aus irgendeinem Grund begriff er genau, wie Bobo tickte. Das machte es einfacher und zugleich komplizierter, denn Simon wusste, welche Gefahr Bobo darstellen konnte. Die gemeine und brutale Reaktion auf Bobos Bruder hatte ihm gezeigt, dass Bobos Launen von einem Augenblick auf den anderen umschlagen konnten. Nein, es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder, er machte sich aus dem Staub oder er packte Bobos runden Schädel bei seinen unsichtbaren Hörnern und stellte sich der Angst, die sich gerade wieder in ihm breitmachte. Vielleicht gab es ja noch eine ganz andere Idee, dachte Simon unvermittelt. Ja. Das war eine Lösung, die ihm gefiel.
    Er holte sein Geld aus der Tasche, zählte einen Stapel Scheine ab und versteckte den Rest in einem seiner Sneaker. Dann wusch er sich das Gesicht, trocknete es, schaute sich im Spiegel an und ging zurück an seinen Platz, wo Bobo ihn lächelnd empfing.
    „Gleich sind wir in Berlin“, sagte er freundlich.
    Simon starrte ihn an. „Ich will mit dir reden.“
    Bobos Lächeln verschwand.
    Für eine Sekunde meinte Simon, in seinen winzigen Augen zu erkennen, dass er sich fürchtete, dann verschwand Bobos Angst wieder hinter seiner freundlichen Maske. Es war die Angst vor der Wahrheit. Simon hatte Bobos schwache Stelle entdeckt.
    Und Bobo hatte es gemerkt.
    Zum ersten Mal war er in der Defensive.
    Simon lächelte; plötzlich war er der Stärkere. Er legte die 1000 Euro auf den Tisch und schob sie zu Bobo hin.
    „Was soll das?“, fragte Bobo.
    „Nimm!“
    „Wieso? Wieso machst du das?“, fragte Bobo verblüfft. Er war auf der Hut. Simon freute sich, dass es ihm gelungen war, Bobo in Erstaunen zu versetzen.
    „Dein ganzes Gerede dient doch nur dazu, mich einzuwickeln und zu beruhigen, damit du mich ausnehmen kannst“, sagte Simon.
    Bobo wollte ein verletztes und entrüstetes Gesicht aufsetzen und kniff beleidigt die Lippen zusammen.
    „Aber ich weiß, dass du mich eigentlich magst und ich dich auch. Nur, als ich gesehen hab, wie du deinen kleinen Bruder behandelst, habe ich gemerkt, dass man dir nicht trauen kann.“
    Simon und Bobo starrten sich an und Simon merkte, dass es in Bobo arbeitete. Er hatte keine Ahnung, wie er jetzt reagieren würde.
    „Entweder wir trennen uns oder wir finden zusammen meinen Vater. Dann will ich, dass du ehrlich bist.“
    Bobo schluckte. So hatte noch niemand mit ihm gesprochen. In seinem Kopf arbeitete es. Dann wurde Bobos Gesicht plötzlich unendlich traurig, wie das eines kleinen Kindes, bevor es anfängt loszuheulen, und Simon bekam Mitleid mit dem riesigen Mann. Er fasste Bobo vorsichtig am Arm, als wolle er ihm beweisen, dass die Welt gut sei und er genug gebüßt habe, und Bobo schaute auf Simons Hand. An seinen verwunderten Augen erkannte Simon, dass Bobo offenbar seit Jahren niemand mehr freiwillig berührt hatte, außer vielleicht, um ihn zu durchsuchen oder zu schlagen. Vielleicht noch nie.
    „Okay?“, fragte Simon leise.
    Bobo senkte den Kopf und starrte auf die kleine Reisetasche, die er neben sich stehen hatte, als hätte er sie etwas gefragt und wartete nun darauf, dass die Tasche antwortete.
    Aber die Tasche sagte nichts.
    „Das war nicht mein Bruder“, murmelte Bobo schließlich leise. „Mein Bruder ist tot. Er wurde getötet. Bei einem Unfall auf den Gleisen.“
    Simon starrte ihn an. Er hatte sich nicht geirrt. Er hatte nur mutig genug sein müssen, um zur Wahrheit durchzudringen.
    „Mein Bruder ist auch gestorben“, sagte Simon. „Er ist ertrunken. Vor meinen Augen.“
    Simon und Bobo sahen sich an. Dann schob Bobo ihm das Geld über den Tisch. „Behalt deine Kohle.“
    „Ich will, dass du mir hilfst, meinen Vater zu finden.“
    Bobo schüttelte den Kopf. „Ich mach’s für unsere Brüder“, sagte er.
    Den Rest der Zeit schwiegen sie, doch kurz vor Berlin wollte Simon wissen, woher Bobo gewusst habe, dass er Geld bei sich hatte.
    „Ich kann nix dafür“, sagte Bobo. „Schon seit ich klein bin, erkenn ich, ob einer Geld hat und ob er’s loswerden will.“
    „Schätze, du hilfst den Leuten einfach gern!“, sagte Simon und Bobo brach in Gelächter aus.
    „Du hast es verstanden! Ganz genau!“
    Sie machten die High-Five-Geste.
    „Ich seh’s am Gang. Am Gesicht. Ich kann dir sogar sagen, wie viel. Ich seh’s an den Schuhen oder an den Kleidern. Hab ich von meiner Mutter gelernt. Die lag nie falsch.“
    Bobo fand es offensichtlich befreiend, dass er jetzt einen Mitwisser hatte, und Simon wusste, dass Bobo die

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