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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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wuselte ...
    [ 1252 ]
    Nervös schabte der Fingernagel an dem Kugelschreiber. Das Zeichen von gene-sys war kaum noch zu lesen. Die Frau rauchte und überlegte. Schon wieder eine schlechte Nachricht, die sie überbringen musste. Eben hatte sie einen Anruf von Clint bekommen. Er war auf dem Weg zurück nach Köln. Da war Nachbesserung nötig geworden, hatte er gesagt. Kein Grund zur Sorge.
    So war es immer, dachte die Frau. Die Sorge hatte immer sie. Schließlich nahm sie den Telefonhörer ohne Wählscheibe, nannte den Code und wartete, bis am anderen Ende der Leitung abgenommen wurde.
    „Operation »Ex-Punkt-Eins« muss nachgebessert werden. Ist aber kein Problem, wurde mir gesagt.“
    Die Frau wartete auf eine Antwort. Doch stattdessen wurde nur der Hörer wieder aufgelegt. Die Frau hasste das. Nie wusste sie, ob man ihr diese schlechten Nachrichten nicht auch irgendwann einmal anlasten würde. Sie griff nach der Zigarettenpackung.
    Die ältere Frau am anderen Ende der Leitung hatte den Hörer aufgelegt und lächelte zufrieden.
    „Gut gemacht, Linus!“, sagte sie.
    [ 1253 ]
    Als der Zug hielt, betrat ein untersetzter Mann in einem schäbigen Mantel den Wagen. Er hatte eine ungute Ausstrahlung und trug in jeder Hand zwei Plastikbeutel. Er wollte sich setzen, doch als er Bobo erblickte, sprang er auf und verließ eilig das Abteil.
    Durch das Fenster konnte Simon erkennen, wie er sich hinter einem Pfeiler auf dem Bahnhof versteckte. Mit großen Schritten eilte Bobo zur Zugtür und starrte auf den Bahnsteig.
    „Ich bin wieder da, Amigo!“, brüllte er mit seiner hellen Stimme in die Nacht hinaus. „Lass dich hier nie wieder blicken! Sonst bist du tot!“
    Als sich die Tür geschlossen hatte und der Zug wieder fuhr, kehrte Bobo zurück zu Simon und grinste nett.
    „Abstauber!“
    Simon sah Bobo an, als hätte der den Verstand verloren.
    „Der hat auf dieser Strecke nichts zu suchen.“
    „Und wenn er nach Berlin will?“
    „Der will nirgendwo hin. Der fährt den ganzen Tag und die ganze Nacht Zug. Aber da hat er sich geschnitten. Das hier ist meine Strecke!“
    Simon verstand nicht.
    „Mein kleiner Bruder lebt auf der Bahn.“ Bobo setzte sich wieder.
    „Das war dein Bruder? So gehst du mit deinem Bruder um?“
    „Klar. Hast du ihn nicht gesehen? Die Schabe ...“
    Bobo wollte nicht weiter darüber reden. Er erklärte Simon, dass er selbst vorhabe, das Leben auf der Bahn wieder aufzunehmen, sobald er genügend Geld zusammen hätte. Sei doch eine geniale Idee. Hier gäbe es alles.
    „Telefon. Musik. Restaurant. Alles, was du brauchst, ist eine lange Direktverbindung zum Ausschlafen. Wie die hier. Und die BahnCard 100. Damit kannst du in jeden Zug steigen. Jederzeit und erste Klasse. In ganz Deutschland. Wir haben uns die Strecken aufgeteilt, damit wir genug zum Leben haben.“
    Simon wusste, dass es für einen Vorbestraften schwer war, an eine Wohnung zu kommen. Außerdem hatte ein fester Wohnsitz den Nachteil, dass Bobo aufzufinden war.
    „Auch von Leuten, von denen ich nicht gefunden werden will“, erklärte Bobo und nickte gewichtig.
    Simon wusste nicht, ob er die Geschichte glauben sollte oder nicht.
    „Mir fehlen noch genau 1000 Euro für meine neue ‚Wohnung‘“, schloss Bobo dann mit bedauerlichem Ton in der Stimme und schaute Simon mit einem Mal prüfend an. In diesem Augenblick wusste Simon, dass Bobo wusste, dass er Geld hatte.
    Das Herz rutschte ihm in die Hose. Aus welchem Grund sollte Bobo Simon anders behandeln als die anderen Menschen, denen er vormachte, was sie hören wollten, und die er betrog? Simon war auf einen Betrüger reingefallen, der ihm sogar gesagt hatte, dass er ein Betrüger sei.
    Er spürte, wie sich die Muskeln seines Gesichtes verhärteten. Wut und Angst überwältigten ihn. Abrupt stand er auf, ging zur Toilette und schloss sich ein.
    Simon betrachtete sich im Spiegel.
    Eins war klar: Über kurz oder lang würde Bobo ihn in die Enge treiben und dafür sorgen, dass Mumbalas Geld bei ihm landete. Simon musste sich also überlegen, wie er Bobo loswerden konnte, und ihm so lange vorgaukeln, dass er ihm vertraute. Es würde schwer werden. Bobo war nicht einfach nur gerissen, dachte Simon, er schien einen Defekt zu haben, der ihn anderen Menschen überlegen machte. Er hatte kein Gewissen.
    Wohin sollte Simon gehen, wenn sie in Berlin ankamen? Wie sollte er Bobo abschütteln? Der Verbrecher kannte jetzt sogar den Namen seines Vaters.
    Das Merkwürdige war, Simon verstand Bobo.

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