Abaton
Schädel wickelte, wie Olsen sich aufbäumte, wie er keine Luft mehr bekam, klickte er die Aufnahme weg. Linus rang mit sich. Der Computer! War das nicht die einzige Möglichkeit? Wenn er keine Angst hätte, dann könnte er klug handeln, dann könnte er Olsen womöglich retten.
Linus war versucht, noch einmal in die Küche zu schalten. Doch stattdessen griff er nach der roten Kappe. Er setzte sie sich auf, so wie es Olsen bei dem Söldner gemacht hatte. Dann hockte er sich vor den Bildschirm und er hatte das Gefühl, als wäre er direkt an den Computer angeschlossen. Sein Atem raste. Er klickte das Programm an, mit dessen Hilfe sich die Angst ausschalten ließ. Die Eingabefenster für die Laufzeit und die Frequenz erschienen. Linus wählte einen Mittelwert. Wenn er Olsen helfen wollte, musste es schnell gehen, er hatte keine Zeit, lange herumzuprobieren.
Linus setzte die Brille auf, die neben der roten Kappe gehangen hatte, und spürte, wie sie seinen Blick auf den Bildschirm fixierte. Er sammelte sich. Dann klickte er auf »Start«. Linus lauschte angestrengt, aber aus den Kopfhörern, die in die Kappe eingebaut waren, drang nur ein Rauschen. Schon spürte er, wie die hypnotisierenden Bilder auf dem Bildschirm ihn fesselten und entführten. Er starrte darauf und war mit seinem Bewusstsein weit, weit weg.
[ 1256 ]
Als Clint das nasse Tuch wegnahm, rang Olsen nach Luft.
„Wo ist der Junge?“, fragte Clint mit ruhiger Stimme. Olsen schwieg. Clint nickte, als hätte er großes Verständnis. „Du Scheißkerl wirst doch nicht ein Gewissen entwickelt haben?“ Er lachte. „Komm schon. Wo ist er?“
„Keine Ahnung“, sagte Olsen, als er wieder etwas Atem geschöpft hatte.
Clint stellte sich hinter Olsen und redete leise, während er über dessen Kopf zu streichen begann. „Der Unfall hat dich wohl zu einem Gutmenschen gemacht, stimmt’s?“ Seine Finger wanderten zu der verletzlichen Stelle, wo Olsens Gehirn nur von dünner Haut bedeckt war. „Vielleicht macht dich ein weiterer Unfall ja wieder zu einem anständigen Soldaten?“ Im selben Moment, als Clint zudrücken wollte, riss Olsen ruckartig den Kopf zur Seite und erwischte mit dem intakten Schädelknochen Clints Nase. Sofort schoss Blut hervor. Olsen nutzte diesen Moment der Irritation, wirbelte herum und trat zu. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, verlor er durch die Wucht seines Trittes das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Schon war Clint über ihm, hatte ihn an der Gurgel gepackt.
„Du sagst mir jetzt, wo der Junge ist!“
Olsen schüttelte den Kopf. „Du weißt doch genau, was Menschen wie wir tun, wenn es keinen Ausweg mehr gibt.“
„Du bist keiner mehr wie ich!“, fluchte Clint. Er ahnte, was Olsen vorhatte.
„Stimmt, ich bin nicht mehr wie du“, sagte Olsen ganz ruhig. „Deshalb bestimme ich, was jetzt passiert.“
„Nein. Nein!“ Clint ließ von Olsens Gurgel ab, zerrte ihn wieder auf die Beine. „Du wirst deine Zunge nicht verschlucken.“ Er versuchte, Olsens Mund zu öffnen. Es gelang ihm nicht. Olsen schaffte es zu lächeln.
„Verdammter Scheißkerl!“
[ 1257 ]
Linus wachte auf.
Ein helles Fiepen hatte ihn geweckt. Der Bildschirm war schwarz. Linus fasste sich an den Kopf. Ertastete die verdrahtete Kappe. Er nahm sie ab. Linus hatte keine Ahnung, wie lange er in dem Stuhl gesessen hatte. Minuten? Stunden? Er schaltete auf die Überwachungskameras. Nichts regte sich. Draußen wurde es hell. Die Küche war leer. Olsen war nirgendwo zu sehen. Linus öffnete die Verriegelung der Tür und betrat die Küche. Ruhig sah er sich um, sah auf die Uhr und begriff, dass er aufgrund des Mittelwerts, den er eingestellt hatte, fast eine Stunde den Frequenzen ausgesetzt gewesen war. Er rief nach Olsen. Keine Antwort. Linus schaute ins Bad. Nichts. Er kam zurück in die Küche und sah, wie Timber am Boden schnüffelte. Linus hockte sich hin. Strich mit einem Finger über den Boden. War das Blut, was da leicht rötlich schimmerte? Wenn ja, dann musste es jemand ziemlich eilig aufgewischt haben.
Linus überlegte. Er analysierte ruhig, was zu tun war. Polizei? Später, vielleicht. Was hatte Olsen gesagt? Die Überwachungskameras speicherten alle 30 Sekunden ein Bild.
Er ging zurück in den Nebenraum und suchte die Speicherdatei. Da waren die vier Kameras aufgelistet. Kamera zwei zeigte die Küche. Linus sah sich die Aufnahmen der vergangenen Stunde an. Eine bizarre Bildsequenz bot sich ihm dar. Olsen ließ den Söldner herein. Sie
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