Abby Cooper 02 - Moerderische Visionen
kleinen Betrag haben sie schon von mir bekommen. Die können jede Kleinigkeit gebrauchen.«
Noch einmal betrachtete ich den Scheck mit hungrigen Augen und meine linke Seite wurde immer schwerer. Endlich holte ich tief Luft und riss ihn in der Mitte durch, dann noch mal quer und gab Milo die Fetzen niedergeschlagen zurück. »Milo, lassen wir es nicht bei Kleinigkeiten, sondern lass uns eine große Summe spenden und richtig was bewirken.«
Er nahm den zerrissenen Scheck und fragte: »Alles? Ich meine ... das ist eine schöne Stange Geld. Du könntest deine Praxis dichtmachen und in die Karibik ziehen, wenn du wolltest.«
Ich hob abwehrend die Hand. »Bitte, mach mir nicht den Mund wässrig. Außerdem ist diese Arbeit meine Aufgabe. Es ist mir bestimmt, diesen Beruf auszuüben, und ein Lottogewinn ändert daran nichts. Glaub mir, das Geld wird in deinem Wohnviertel von größerem Nutzen sein.«
Milo klopfte mir freundlich auf die Schulter und sagte:
»Ich wusste, dass du immer eine Schwäche für die gute Sache hast.«
»Was die Schwäche angeht, stimme ich dir zu. Möchtest du reinkommen?«, fragte ich und schloss die Tür auf.
»Würde ich ja gern, aber ich habe gleich eine Besprechung mit dem Captain und will nicht zu spät kommen.«
»Mit dem Captain? Ich dachte, du hast gekündigt.«
»Hab ich, aber dass Dutch und ich gleichzeitig weggegangen sind, hat das Dezernat hart getroffen. Sie haben mich gebeten, mal zu überlegen, ob ich eine Weile Teilzeit arbeiten möchte.«
»Wirst du?« Unterschwellig scannte ich bereits seine Energie.
»Meinst du, ich sollte?«, fragte er ernst.
»Ja«, antwortete ich unwillkürlich. »Da ist ein Fall, bei dem sie dringend deine Hilfe brauchen, Milo. Ein wichtiger, und du bist genau der Richtige für diese Aufgabe. Ich habe das starke Gefühl, als würdest du das Verbrechen aufklären. Aber sei vorsichtig. Die Sache ist brandgefährlich.« In dem Moment lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich wusste nicht warum, aber ich schauderte.
Milo blickte mich fragend an, dann nickte er nüchtern. »Eigentlich ist der Ruhestand ziemlich langweilig. Ich könnte was gebrauchen, was mich beschäftigt. Danke, ich weiß den Rat zu schätzen«, sagte er und umarmte mich kurz.
»Gern geschehen. Übrigens, Dutch kommt morgen zurück. Wie wär s, wenn wir mittags zusammen essen gehen?«
»Das wäre großartig. Sag ihm, er soll mich anrufen, dann können wir etwas ausmachen. Ich wünsche dir ein schönes Halloween, Abby.«
Ich winkte ihm zu und betrat meine Praxis. Bei einem Blick zur Uhr wurde mir klar, dass ich mich besser beeilen sollte, wenn ich zum Einuhrtermin rechtzeitig vorbereitet sein wollte. Ich hastete durch das kleine Wartezimmer ins Büro und legte Mantel und Handtasche ab.
Die Praxisräume sind T-förmig angeordnet. Durch das Wartezimmer gelangt man geradeaus ins Büro und rechts und links in die beiden Praxiszimmer. Der rechte Raum stand derzeit leer. Anfangs hatte darin meine beste Freundin Theresa praktiziert, ebenfalls ein Medium, aber sie zog vor ein paar Monaten nach Kalifornien. Dann hatte ich den Raum an eine Massagetherapeutin untervermietet, die aber aus Angst vor dem Mörder, mit dem ich zu tun gehabt hatte, wieder gekündigt hatte. Seitdem waren mehrere Bewerber wegen dem Zimmer vorbeigekommen, aber bisher war der richtige nicht dabei gewesen.
In dem linken Praxiszimmer, einem azurblau gestrichenen Räumchen mit cremefarbenen Zierleisten und Holzboden, hielt ich meine Sitzungen ab. Dort standen zwei gemütliche Polstersessel einander gegenüber und dazwischen ein kleiner Tisch mit einem Kassettenrekorder. Ein langes Sideboard stand unter den drei Fenstern der Ostwand und das Tageslicht spielte mit den verschiedenen Kristallen, die ich darauf arrangiert hatte. Kerzen standen auf jeder freien Fläche, an der Wand hing ein Mosaikspiegel und in einer Ecke plätscherte ein Zimmerbrunnen mit Wasserfall, der dem Raum Rhythmus gab.
Mein Sitzungszimmer war für mich immer eine Oase der Erholung. Darin konnte ich völlig ich selbst sein. Da war ich nicht irgendjemandes Nachbarin, Schwester, Freundin oder Kollegin, sondern ich, Abigail Cooper, das professionelle Medium. Das war nämlich der kleine Schönheitsfleck, der mein Selbstbewusstsein immer beeinträchtigt hatte, und nur in diesem Zimmer brauchte ich nicht zu fürchten, dass mich deswegen jemand ablehnte. Ich konnte völlig ich selbst sein, und darum war es für mich der kostbarste Platz auf der
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