Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
aber – – –«
Er hielt inne, trat an das Fenster, schaute hinaus und fügte dann hinzu:
»Da geht der Weg zum Bab en Nebi Daud und da zum Bab el Amud. Für mich ist es gleich, welchen von diesen Wegen ich gehe. Sie führen mich beide doch nur um die Stadt herum und nach dem Ölberg, wo ich warte, wann und wie mir die Verzeihung kommen werde. Heute liegt eine Spannung in mir, die mich nicht ruhen läßt. Ich gehe!«
Er entfernte sich und ich gestehe offen, daß er einen Teil der Spannung, in der er sich befand, bei uns zurückließ. Wenn ich mit der vorliegenden Erzählung künstlerische Zwecke verfolgte, so hätte ich sie ganz anders aufgebaut und würde dem Schluß, der sich uns naht, ein eigenes Kapitel zu geben haben. Da mir aber der natürliche Verlauf der Dinge wenigstens ebenso interessant wie seine eventuelle, literarische Bearbeitung erscheint, so folge ich dem guten Beispiele unseres braven Bub, indem ich die Tatsachen schlicht und ungeschminkt berichte und, solange Schamah sich bei uns befindet, darauf verzichte, sie grün oder blau, gelb oder rot anzumalen.
Wir verwendeten den Vormittag dazu, die »Gräber der Könige« und einige andere naheliegende Orte zu besuchen. Am Nachmittag wollten wir nach Ain Karim, einem meiner Lieblingsplätze, den man für den Geburtsort Johannis des Täufers hält. Wir kamen aber nicht dazu, diesen Ausflug zu unternehmen, denn eben als wir zu Mittag speisen wollten, klopfte es zum drittenmal bei uns an und wer erschien? Schamah mit ihrer Mutter! Wir freuten uns herzlich über diesen uns menschlich so willkommenen Besuch und es verstand sich ganz von selbst, daß sie beide mit uns aßen. Die Mutter war eine liebe, sanfte, edle und nur innerlich stolze Frau von ernster Herzensbildung. Sie sprach trotz ihrer Bescheidenheit mit großer Genugtuung davon, daß sie nicht aus Syrien, sondern aus dem Kaukasus stamme und, soweit die Tradition zurückreiche, immer christlich gewesen sei. Ihr Vater war, wegen seines Glaubens unterdrückt, als armer Offizier in El Kerak gestorben. Auch ihr Mann sei arm gewesen, sogar sehr arm, aber mit allen Tugenden geschmückt, die nötig sind, sich die Achtung und die Liebe der Menschen zu erwerben. Er habe Achmed Bustani geheißen und sei an einer Krankheit des Herzens gestorben, an einer Sehnsucht, die ohne Unterlaß an ihm genagt habe, bis ihn der Tod von ihr erlöste.
Achmed Bustani! Man kann sich wohl denken, welchen Eindruck dieser Name auf uns machte. Der Bruder unseres Freundes, also doch! Mir hätte die Witwe diese Mitteilungen wohl nicht so bald gemacht, aber die beiden Frauen waren einander schon gestern nicht nur äußerlich, sondern noch mehr auch innerlich begegnet und fühlten sich nun heute in der Weise zueinander hingezogen, daß sich die Vertraulichkeit ganz von selbst einfand. Natürlich nicht sofort, sondern es währte Stunden, bis wir so nach und nach erfuhren, was ich in wenigen, kurzen Worten berichte. Während sie sprach, schaute uns die zurückgehaltene Herzensqual aus ihren feuchten, tiefen Augen an, und so wäre es von uns im höchsten Grade hart, ja grausam gewesen, wenn wir diese Qual durch Fragen vergrößert hätten, nur um eine gewöhnliche Neugierde zu stillen. Achmed Bustani war, um es mit einem bekannten Worte auszudrücken, ganz einfach am Heimweh gestorben. Die Liebe zu Weib und Kind hatte den Tod höchstens verzögern, nicht aber verhindern können. Der Gedanke, vom Vater und von der ganzen Familie verstoßen zu sein und niemals wieder Aufnahme finden zu dürfen, hatte ihm, dem aus der Verwandtschaft unlösbaren Semiten, das Leben gekostet. Und bereits im Sterben liegend, hatte er seiner Gattin das Versprechen abgenommen, sie werde nach Jerusalem pilgern und mit dem Kinde seinen Bruder aufsuchen, um ihn, wenn möglich, doch noch zu versöhnen.
Sie hatten eigentlich von der Eiche Abrahams nur bis nach Bethlehem wandern wollen, aber vom Hospiz aus einen Zettel an einen gewissen Abd en Nom in Bethanien erhalten, der ihnen freie Aufnahme und Verpflegung in dessen Hause sicherte. Und zugleich hatte es sich gefügt, daß der uns bekannte Hammahr mit seinen Eseln nach Jerusalem mußte, um jemand von dort abzuholen, und sie also mitnehmen konnte, ohne daß sie zu bezahlen brauchten. Sie freuten sich über die Gefälligkeit dieses Mannes und über die im russischen Hospiz an der Abrahams-Eiche herrschende Humanität, ohne zu ahnen, daß es in Wahrheit unser »Held der Blutrache« war, dem sie das alles
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