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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wirkte wie ein lieber, inniger Sonnenstrahl, der diesen Ernst milderte. Die Witwe sah sich am Ziele ihrer Reise. In ihr bebte die unendlich wichtige Frage, ob ihre Pilgerschaft Erhörung finden werde oder nicht. Wir aber, die wir hiervon mehr mußten als sie, wir sahen die Entscheidung kommen und fühlten uns in hohem Grade innerlich gespannt.
    Meine Frau wollte Schamah gern mit auf das Bild bekommen; aber das Kind hatte noch kein Vertrauen zu dem schwarz überhangenen Dreigestell und so mußte sie für heute verzichten. Ich war es also allein, der aufgenommen wurde. Als das vorüber war und wir, bevor wir die Stelle verließen, sie noch einmal besonders in Augenschein nahmen, um sie uns einzuprägen, erklang plötzlich von rechts und von links, von oben und von unten, kurz von allen Seiten und von allen Höhen, wo die Knaben sich hinter den Steinen versteckt hatten, ein eigentümlich getragenes, zweistimmiges Lied in arabischer Sprache. Das war das Lied von Bethanien, wo Christus die Geschwister besucht und unterwegs am Siloahteich Kranke heilt. Unsere innere Stimmung und die äußere Szenerie, das was hinter uns lag und das, was wir vor uns zu erwarten hatten, und hierzu dieses uns vollständig überraschende, ganz eigenartige, tief ergreifende Christuslied: das alles wirkte derart auf uns ein, daß es uns fast niedergezogen hätte, um knieend zuzuhören. Und als es vorüber war, regte sich kein Hauch und kein Fuß. Die Sänger blieben in ihren Verstecken liegen; sie waren gut instruiert. Von diesem Augenblicke an begann ich zu zweifeln, daß unser Bub so ganz ohne allen Kunstverstand geboren sei.
    Von hier aus gingen wir nach dem Kidrontal und bis zur sogenannten oberen Brücke, um Gethsemane zu sehen. Dann über den jüdischen Begräbnisplatz nach Bethanien hinauf. Da stand vor dem Dorf der Bub, ganz allein. Er wartete auf uns und grüßte. Dann fragte er mich leise:
    »Hast du sie gesehen?«
    »Wen?« fragte ich wieder.
    »Die Sänger. Sie sind euch, während ihr nach Gethsemane ginget, zuvorgekommen, denn sie haben hier noch einmal zu singen. Kommt! Ich führe euch zu Abd en Nom, damit ihr die Wohnung seht, die wir für Schamah bereitet haben. Dann gehen wir zum Grab des Lazarus, um zu photographieren.«
    Er nahm Schamah bei der Hand und ging mit ihr voran. Das Haus Abd en Noms lag in der Nähe des Grabes. Der Besitzer kam heraus, sich tief und respektvoll zu verbeugen, mit ihm seine beiden Söhne, nach Thars Beschreibung bekanntlich »der größte Walfisch, den wir haben, und das schwerste Nilpferd, das es gibt.« Sie machten aber beide einen ganz freundlichen, Zutrauen erweckenden Eindruck. Auch das Häuschen sah recht sauber und wohnlich aus. Es schien, als ob die Gäste hier eine recht zufriedenstellende Unterkunft finden würden. Und als wir das Innere betraten, sahen wir, daß diese Vermutung zur Wahrheit wurde. Denn die Einrichtung der beiden Räume, die es da für Schamah und ihre Mutter gab, ließ nach dortigen Verhältnissen nicht das geringste zu wünschen übrig. Sie waren außerdem mit all den Ästen, Zweigen und Blumen geschmückt, die für den »festlichen Wandelzug« bestimmt gewesen waren.
    »Drum hatte ich solche Eile,« erklärte mir der Bub verstohlen. »Das mußte ja alles nun sehr schnell hierher geschafft werden.«
    »Und wo befinden sich jetzt die Helden alle?« fragte ich.
    »Das sollst du gleich hören!«
    Er ging bei diesen Worten nach der Tür und gab einen Wink hinaus. Sofort erhob sich ein wenigstens fünfzig-bis sechzigstimmiges »Triumphgeheul«, welches von wirklichen Löwen, Elefanten, Nilpferden und Walfischen gewiß auch nicht natürlicher und schrecklicher hätte zu Gehör gebracht werden können.
    »Allah erbarme sich!« rief ich ihm zu. »Laß es genug sein! Halt auf! Halt auf!«
    Er winkte wieder; da war es still. Aber sehen konnte man nicht, wo die Bestien steckten.
    »Das war ausgemacht«, sagte er. »Einmal mußte ich sie brüllen lassen, nur ein allereinziges Mal! Jetzt haben sie ihren Willen gehabt und werden es nicht wieder tun. Wollen wir nun zum Grab gehen, um zu photographieren?«
    Wir waren einverstanden, denn die Sonne stand schon tief und für später ließ sich kein gutes Bild mehr erwarten. Er ging mit Schamah voran; deren Mutter aber bat, für diesmal bleiben zu dürfen; sie müsse sich, bevor es dunkel werde, die Zimmer wohnlich machen. Dieser Wunsch war ein so natürlicher, daß er sich ganz von selbst verstand. Wir folgten also, ohne sie mitzunehmen, den

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