Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
angezogen und richtete sich dann auf Merhameh. Ihr Auge begegnete dem seinen. Da führte er die Hand abermals vom Herzen bis zur Stirn empor und verbeugte sich, ohne zu wissen, wer sie war, er, der Orientale, für den es eigentlich eine Schande war, ein Weib überhaupt zu bemerken. Dann setzte er sich an die Spitze des Zuges; seine Leute warteten, bis wir ihm folgten, und kamen dann hinter uns drein.
Es ging rechtwinkelig von unserer bisherigen Richtung ab, nach rechts hinüber. Er schaute sich nicht ein einziges Mal um, ob wir ihm folgten. Er ritt Galopp; wir galoppierten demzufolge auch. Sein weißes Kopftuch flatterte. Der lange, volle Schweif seines Halbbluthengstes wehte hinter ihm her. So ging es eine Berglehne hinauf und drüben wieder hinunter, wo ich an das Tal des Zab erinnert wurde. Da lagen steinerne Häuser und Hütten mit glatten Dächern weitum zerstreut, dazwischen Zelte von vieler Art der Farbe, und des Baues. Das war wohl der Hauptort des Stammes. Es wohnten da viele Menschen. Die standen und schauten uns nach, als wir wie im Sturme vorüberflogen, durch den ganzen, lang gestreckten Ort hindurch, auf ein höher gelegenes, größeres Gebäude zu, um welches mehrere kleinere Zelte standen, die augenscheinlich zu ihm gehörten. Das war die Residenz des Scheikes, der hier anhielt, vom Pferde sprang und, ohne zunächst uns Andere zu beachten, zu Merhameh trat, um ihr vom Pferd zu helfen. Sie nahm dies als ganz selbstverständlich hin, obwohl sie sonst gewohnt war, sich ohne Hilfe aus freier Hand herabzuschwingen.
»Welches ist das Zelt, in dem dein Harem seine Gäste unterbringt?« fragte sie.
»Dort,« antwortete er, nach der betreffenden Richtung deutend.
»So melde Eurer Herrin, wo ich bin!«
Nach diesen Worten schritt sie dem Zelte zu. Er schaute ihr mit großen Augen nach, legte die Hand an seine Stirn und sagte, wie zu sich selbst:
»Wo sah ich sie doch schon? Und wann?«
Er war ein Mann von über fünfzig Jahren, hoch und kräftig gebaut, mit vollem Bart und kühn geschnittenen, sehr sympathischen Gesichtszügen, bei jedem Schritt und bei jedem Wort von unverleugbarem Adel. Kurz und bestimmt erklangen die Befehle, die er den herbei eilenden Dienern gab, um für uns zu sorgen. Ich bekam mit Halef ein ganzes, sehr gut eingerichtetes Zelt angewiesen, neben dem es einen besonderen eingefriedigten Raum für unsere Pferde gab, für die man ebenso ausgiebig sorgte wie für uns selbst. Nur eine kurze halbe Stunde wurden wir uns selbst überlassen, um uns zu waschen und von dem Staub der Reise zu reinigen. Dann wurde uns gemeldet, daß das Essen bereitet sei. Es verstand sich ganz von selbst, daß das sehr reichliche Mahl, welches uns dann geboten wurde, nicht in dieser halben Stunde herzustellen gewesen war. Man hatte es für einen schon vorher vorhandenen Zweck bestimmt, und wir waren nur durch das, was man den Zufall zu nennen pflegt, dazugekommen mit daran teilzunehmen.
Der Bote, der uns holte, führte uns nach dem großen Innenhof des Hauses, der auf drei Seiten von Gebäuden eingefaßt wurde, auf der vierten aber offen stand. An diese Oeffnung schloß sich eine Anhöhe, auf deren Kuppe ein kreisförmiger Ring von großen Steinen lag, die als Sitze zu dienen hatten. Das war jedenfalls der Gerichtsplatz des Ortes, an welchem die Dschemma 1 der Münazah ihre Sitzungen hielt. Wie es schien, war so Etwas auch für heut geplant, denn die Anhöhe war von Menschen besetzt, die etwas Wichtiges zu erwarten schienen, und das konnte doch wohl kaum nur unser Essen sein.
Im Hofe war für das Mahl gedeckt, und zwar nicht auf Tischen, sondern an der Erde. Da lagen zwei große aneinander geschobene Teppiche mit siebzehn Sitzkissen rund herum. Auf den Teppichen gab es geflochtene und metallene Platten und Unterlagen, die jetzt noch leer waren, doch standen die Diener bereit, die Speisen zu bringen, sobald keiner der Gäste mehr fehlte. Geladen waren die zwölf Ältesten des Stammes, Merhameh, Halef und ich. Die Ältesten waren vollständig versammelt; der Scheik stand bei ihnen. Und eben als ich mit Halef in den Hof trat, kam auch die Frau des Scheikes mit Merhameh herbei. Bei den Münazah war es den Frauen also nicht verboten, sich unverschleiert zu zeigen und an den Mahlzeiten der Männer teilzunehmen. Der Scheik stellte uns zunächst seine Frau und dann die Ältesten vor. Die Frau war in feines, indisches Linnen gekleidet. In ihrem Haare glänzten goldene und silberne Ketten und Münzen. An ihren Hand-und
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