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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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der Seele zu atmen. Da unten hatte Finsternis geherrscht. Hier oben grüßten uns die Sterne, und die zarte Sichel des neuerstandenen Mondes stand am Firmament. Wir sprachen nicht. Jeder folgte seinen eigenen Gedanken. Wir schlugen einen großen, weiten Bogen, nach West, über Nord, dann nach Ost zurück, um nicht vor Tage bei der Mühle anzukommen. Wir kannten die Gegend nicht, doch war uns das gerade recht, denn es lenkte unsere Aufmerksamkeit von den vergangenen letzten Stunden ab. Als der Tag zu grauen begann, ritten wir langsamer, denn wir näherten uns dem Ziele. Da konnte Halef das stete und lange Schweigen nicht mehr ertragen. Er begann, das Erlebte zu besprechen, und ich hielt es für meine Pflicht, hierauf einzugehen, um ihm das Herz zu erleichtern.
    Dann ging die Sonne auf, gerade als wir die Mühle vor uns liegen sahen. 1 Sie erschien uns nach den dunklen, häßlich irdischen Ereignissen der vergangenen Nacht wie ein Bild aus dem Garten Eden, vom reinen, heiligen Glanz des Himmels überflutet. Das Wasser rauschte; schalkhaft knarrte das Rad; laut pries die Säge ihren eigenen Fleiß. Auf dem Hose brüsteten sich die Pfauen. Tauben badeten ihr lichtes Gefieder in der Morgenglut. Zwei Hunde sprangen uns schweifwedelnd und heulend entgegen. Da öffnete sich die Tür und aus ihr quollen voran die jubelnden Kinder, mit großen Rosenbuschen in den kleinen Händen, dann Vater und Mutter, ein Paar Großeltern, hinterdrein ein junges Kätzchen, welches noch nicht ausgeschlafen hatte und sich draußen sofort hinsetzte und sich die staunenden Augen auswischte, um uns dann deutlicher sehen zu können. Und um alle Ecken schauten die Köpfe des Gesindes, der Arbeiter und anderer Leute, die zufällig anwesend waren.
    »Welch eine Menge!« rief ich fröhlich aus. »Ist da denn Platz für uns?«
    »Ob Platz ist, hat er gesagt!« meldete das kleine Mädchen in besorgtem Tone zur Mutter empor.
    »Mehr als genug!« antwortete diese. »Für solche liebe, liebe Gäste stets! Sage ihm das, und gib ihm deinen Buschen!«
    Da hielt das Kind mir die Rosen entgegen und sprach:
    »Für solche liebe, liebe Buschen stets! Hier hast du deinen Gast! Mehr als genug!«
    Alles lachte. Wir stiegen ab und wurden im Triumph in das Haus geführt, zur hinteren Tür wieder hinaus und in den Garten, der dort so verborgen lag, daß wir ihn noch nicht gesehen hatten. Dort stand unter schattigen Bäumen ein kleines, weißglänzendes Häuschen. Man bat uns, es uns anzusehen, ob es uns als Wohnung gefalle, und dann zurückzukommen; das Frühstück sei bereit. Dann zogen sich die guten Leute zurück. Das Häuschen bestand aus zwei kleinen, netten Stuben. In der einen fanden wir einen Zettel, darauf stand: »Für den Scheik der Haddedihn.« Da steckte Halef seinen Rosenbusch in den dazu vorhandenen Wasserkrug und sagte:
    »Hier wohne also ich; du kannst gehen!«
    In der anderen sah ich einen zweiten Zettel, darauf stand: »Für ihn«. Kein Titel und kein Name. Auch ich tat meine Rosen in das Wasser. Da kam Halef mir schon nach und fragte:
    »Hast du schon zum Fenster hinausgesehen?«
    »Nein,« antwortete ich.
    »So schau!«
    Er deutete in die Richtung, die er meinte. Da fiel mein Blick zwischen den Stämmen hoher Zapfenbäume hinüber in das Tal des Baches, gerade auf die Stelle, wo die zwei Bänke standen, auf denen die Mutter mit den Kindern gebetet hatte. Auch jetzt saß jemand da, nämlich eine sehr lange, sehr dünne und sehr vergrämt aussehende Frau. Sie hielt den Kopf gesenkt und schien gebetet zu haben; ihre Hände waren gefaltet. Es war – – Abdahn Effendis gerettete Seele.
    »Sie ist also hier,« sagte er. »Man hat sie aufgenommen. Bleiben auch wir?«
    »Ja, wir bleiben.«
    »Allah sei Dank! Wie das mich freut! Als wir den Müller mit den beiden Adjutanten belauschten, hörten wir ihn auf ihre Lästerungen sagen: ›Gott hat es gehört! Gott hat es gehört. Er wende es zu unserem Heil und Segen!‹ Der hat es getan. Der hat es getan. Und darum wiederhole ich: Ihm sei Lob gesagt, Lob und Ruhm und Preis und Dank!« – –
[Fußnoten]
    1 Umschlagbild.
     

›Marhameh‹
Reiseerzählung von Karl May
    Es war im östlichen Teil von Ardistan, also tief im orientalischen Hinterlande. Der Ritt, auf dem wir uns befanden, war für mich und meinen kleinen, treuen Hadschi Halef Omar ein sehr ehrenvoller. Nämlich mein Freund Abd el Fadl, dessen hohe Stellung meine Leser sehr wohl kennen, hatte uns seine Lieblingstochter anvertraut, sie sicher nach

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