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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Millionen beraubt! Dazu ein Heer von vergangenen Missetaten, die wir nicht kennen, und eine Unsumme Verbrechen, die noch geschehen wären, wenn wir sie nicht verhütet hätten! Bedenke auch, daß ich nicht dein Gott der Christen bin, an den zu glauben du uns gezwungen hast, sondern nur ein Mensch, ein Beamter, der verpflichtet ist seine Nebenmenschen vor solchen Bestien zu schützen! Denke auch an mein Gesicht und an den blutigen Armstummel meines Kameraden!«
    »Ich denke an alles!« antwortete ich. »Bei mir wiegt es sogar noch schwerer, als bei euch! Ich gebe euch ebensowenig unrecht, wie der Soldat, der Held, dem Fleischer oder Schinder unrecht gibt. Ihr handelt nicht aus euch selbst, sondern zufolge eines ehernen Gesetzes und auch zugleich im Auftrage jener ebenso strengen als allgütigen Himmelsmacht, die uns befiehlt, nichts ohne den Zusammenhang zu betrachten. Abdahn Effendi war euch und uns zum Lernen aufgegeben. Ich lerne mehr von ihm und auch anderes, als ihr. Wenn er, der Leib, in dieser Weise starb, so mußte alles, was geistig nur ihm allein entfloß, nach oben hin zerstäuben. Es wäre eine Lüge gewesen, es nicht in die Luft zu jagen. Ich sage euch das, obwohl ich weiß, daß man mich nicht versteht. Ihr habt also nicht nur folgerichtig, sondern allzu richtig gehandelt, und das, das treibt mich fort. Ein wirklicher Mensch, ein Christ, kann nicht auf den Trümmern und Fetzen von anderen Menschen gehen. Halef hole die Pferde! Wir reiten fort!«
    Er ging. Kaum war er hinaus, so hörten wir einen Schrei aus seinem Munde. Er war auf etwas getreten, hatte es aufgehoben und brachte es herein, um es bei Licht zu betrachten. Es war ein menschlicher Oberarm! Aus den Schultern herausgerissen! Die zerfetzten Muskeln hingen noch daran. Die Frauen schrien auf. Halef erschrak.
    »Was habt ihr getan?« fragte er die beiden Adjutanten.
    »Gerichtet haben wir!« antwortete der türkische. »Erst ließen wir die Leiche des Effendi hinaufschaffen, dann auch die Gefangenen, so fest gebunden, daß sie sich nicht rühren konnten.«
    »Wußten sie, was mit ihnen geschehen sollte?«
    »Natürlich! Sonst wäre es ja keine Strafe für sie gewesen!«
    »Aber man hörte sie doch nicht schreien?«
    »Weil sie nicht konnten! Sie waren geknebelt. Die Gerechtigkeit erforderte es!«
    »Die Gerechtigkeit!« lachte der Hadschi. »Und Gnade gab es nicht?«
    »Gnade? Wofür?«
    »Wofür? Als ob der Mensch auch noch die Gnade extra zu bezahlen hätte!«
    Er warf ihnen die gräßlichen Ueberreste vor die Füße, trat ganz nahe an sie heran und fragte:
    »Wer hat diese Leute in eure Hand gegeben? Wir! Wer hat alle ihre Taten entdeckt? Nur wir! Wem aber war es drei Wochen lang vollständig unmöglich, auch nur die geringste Spur von Geist und Befähigung zu zeigen? Euch! Und trotz dieses geradezu lächerlichen Unvermögens haltet ihr euch für berufen, über Strafe und Gnade, über Leben und Tod, wohl gar über Seligkeit oder Verdammnis zu entscheiden? Ihr armen Teufel ihr, die ihr nur immer von Gerechtigkeit redet und doch selbst nur Gnade und Mitleid braucht, weiter nichts!«
    Er ging. Auch die anderen gingen, ohne ein Wort zu sagen. Nur die Müllerin blieb am Ausgange stehen und richtete an mich die Worte:
    »Verzeih, Effendi! Das Entsetzen treibt uns fort. Wir gehen heim; dort ist die Erde rein! Ist es wahr, daß du dieses Tal verlässest?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Sofort!«
    Da faltete sie die Hände, bog das Knie und sah in rührender, aufrichtiger Bitte zu mir auf. Dieser Bitte Worte zu geben, wagte sie nicht, doch verstand ich sie.
    »Ja, ich komme!« lächelte ich ihr dankbar zu.
    Da stieß sie einen Jubelruf aus und eilte fort, den anderen nach.
    »So siegst du auch hier!« sagte der persische Adjutant, der mit dem türkischen noch da stand wie zuvor. »Leb wohl!«
    »Leb wohl!« sagte auch der türkische. Dann gingen sie hinaus. Ich war allein.
    Halef brachte die Pferde, die er in fliegender Eile gesattelt hatte. Er versicherte, die hiesige Luft wolle ihm nicht mehr in den Hals; er ersticke fast. Wir packten auf, was uns gehörte, und ritten davon, den Weg, den wir am vorigen Montag gekommen waren, an der türkischen Maut vorüber, ein Stück zurück und dann nach rechts in die köstliche, staub-und schmutzfreie Atmosphäre der Hochebene hinein.
    Das war schon über drei Stunden nach Mitternacht. Es galt nicht, zu reisen, sondern nur zu reiten. Die Pferde brauchen es nach so langer Ruhe, und wir hatten uns die Dünste des Tales aus

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