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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bei der Sache. Sie drehte nicht von Zeit zu Zeit den Kopf nach dem Melkeimerchen um, um nachzusehen, bis zu welchen Höhepunkt die Leistung gestiegen sei, sondern sie hatte die Augen zu und nickte immerfort mit dem Kopfe wie eine müde Großmutter, welche den Strickstrumpf in ihren Händen nie fertig bringt, weil sie bei jeder Runde ein Schläfchen machen muß. Oft wackelte sie sogar, als ob sie träume. Aber dieser Ausnahmezustand war keineswegs von nachteiliger Wirkung auf das, was sie zu leisten hatte. Die Milch schien ganz im Gegenteile heute in Strömen fließen zu wollen. Es hörte gar nimmer auf. Das brachte die Mutter auf ängstliche Gedanken.
    »Herzle, geh’ schnell durch den Garten und schau nach, wieviel Kraut und Kohl uns das Karlinchen heute nacht weggefressen hat!« sagte sie. »Ich glaube, sie gibt jetzt schon das vierte Nößel! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!«
    Das Herzle tat schnell, was ihr befohlen worden war, und brachte dann die Meldung, daß von keiner einzigen Pflanze ein Blättle oder Spitzle fehle.
    »So muß ich ihr den Verdacht abbitten,« meinte die schnell reuige Mutter. »Aber es war kein Wunder! Schau einmal her, da ich nun fertig bin! Hat sich so etwas seit Menschengedenken schon einmal ereignet? Der Eimer ist zum Ueberlaufen voll. Das ist doch wenigstens für fünfundzwanzig Pfennige mehr als wie gewöhnlich! Wo kommt das her?«
    »Vielleicht grad weil die Tür aufgestanden hat. Die gute Luft die ganze Nacht hindurch!«
    Da nickte das Karlinchen wieder, und zwar tief, sehr tief. Dabei hatte sie die Augen jetzt schnell aufgemacht und warf einen zustimmenden Blick nach der Stalltür hin.
    »Vielleicht möglich, wenn ich es auch nicht ganz begreifen kann,« sagte die Mutter. »Da wäre es ja auch erklärt, daß sie jetzt noch ganz im Stehen schläft, denn die Nachtluft soll ja die Eigenschaft besitzen, schläfrig zu machen. Wir wollen es doch einmal versuchen und heut’ abend die Tür wieder offen lassen!«
    Da tat das Karlinchen ganz unerwartet einen Freudensprung, durch welchen sie die Mutter beinahe mit samt dem Eimer umgerissen hätte. Aber sie nahm sich sofort wieder zusammen, um sich ja nicht etwa zu verraten, und trat dann ihr Tagewerk in der altgewohnten, vorgeschriebenen Weise an.
    Da hatte sie zunächst zum Bach zu gehen, um zu trinken. Sie tat das links vom Brückle, ja nicht rechts, denn dort lag ja – – – hm! Man denkt am Tage oft nicht gern an das, was in der Nacht geschehen ist, wenn man sich vom Häusle fortgeschlichen hat! Das soll sogar auch bei den zweibeinigen Geschöpfen vorkommen, nicht bloß bei den vierfüßigen! Dann hat man es teils im Kopfe und teils im Magen sitzen. Das knurrt und schnurrt wie ein Kater. Oder es zieht Grimassen wie ein Affe. Man bekommt Appetit nach etwas Saurem, so ungefähr nach dem Sauerampfer da drüben auf der Wiese. Kurz und gut, man ist halb gruselig, halb duselig und hält es gar nicht mehr für möglich, daß man als ein doch sonst so vernünftiges Karlinchen auf den verbotenen Gedanken kommen konnte, dem Herrn Frömmelt seine sämtlichen Aurikeln so radikal vom Beete wegzufressen! Die bittere Schärfe hätte einen doch wohl warnen sollen!
    Im Hinblick auf besagten Sauerampfer trug das Karlinchen nun ihr schuldiges Gewissen hinüber auf die Wiese. Ihr Magen sagte ihr, daß dies gegen den Aurikelkater heilsam sei. Nebenan sprach auch noch eine zweite Stimme. Man wußte nur nicht recht, aus welchem inneren Teile. Die riet dem Karlinchen, jetzt gut aufzupassen, es werde jemand kommen. Darum schaute sie, während sie von Zeit zu Zeit ein Maul voll Ampfer zu sich nahm, sehr fleißig nach dem Dorfe. Doch wollte sich von daher niemand sehen lassen. Aber, kam da nicht jenseits der Häuser jemand vom Berge herab? So eilig, als ob keine Zeit zu verlieren sei? Auf dem Wege, den die Anna aus dem Neuberthofe zu wählen pflegte, wenn sie kam? Ja, ganz richtig! Vielleicht war sie es wirklich!
    Karlinchen wartete. Ja, sie wurde sogar bald ungeduldig, denn sie hatte die Anna in ihr Herz geschlossen. Eine Viertelstunde verging, vielleicht gar noch mehr. Da konnte das Karlinchen es nicht länger aushalten. Sie wollte ihr entgegengehen. Da rief man sie. Sie drehte sich um. Die Mutter stand an der Brücke und zankte sie aus, daß sie schon früh am Tage spazierengehen wolle. Man habe die Klöppelkissen schon herausgeschafft, um die Arbeit zu beginnen. Sie sollte also kommen, weil man ohne sie nichts fertig bringen könne. Ihr warmes

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