Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
nach Hause komme. Bett ist Bett!«
Sie versuchte, zu gehen. Es ging ungeheuer schwer.
»Hm!« lachte sie innerlich. »Jetzt müßte man einen Hüppelschottisch oder gar einen Linksumgalopp probieren! Ich würde dadurch unsere ganze Milchwirtschaft zu Grunde richten! Also Ruhe, nichts als Ruhe! Ich trolle mich heim!«
Sie nahm die Richtung nach der offenen Tür, durch welche sie gekommen war. Noch hatte sie diese nicht erreicht, so blieb sie stehen, denn sie hörte Schritte. Es kam jemand, ging in einiger Entfernung an ihr vorüber und durch die erwähnte Tür hinaus.
»Das war ein Frauenzimmer!« dachte sie. »Mitten in der Nacht! Zwölf Minuten nach zwei! Wo doch jedes anständige weibliche Wesen – – hm! Ich doch auch! Aber das war nicht meinesgleichen und kommt mir also verdächtig vor. Ich mache mich hinterher, so sauer es mir bei dieser Leibesfülle auch ankommen wird!«
Gedacht, getan! Sie folgte der Vorangegangenen. Diese schritt nach der Wiese hinüber.
»Was? Da drüben wohnt ja weiter niemand als wir!« wunderte sich das Karlinchen. »Da muß ich schneller laufen!«
Sie beeilte sich. Der Mond war hinter den Bergen verschwunden. Aber das Karlinchen hatte, wie bereits gesagt, gute Augen. Sie sah die Gestalt und folgte ihr über die Wiese hinüber. Das ›Frauenzimmer‹ ging bis zum Brückle und blieb dann neben demselben stehen. Karlinchen schlich heran, leise, ganz leise!
Da kauerte sich die andere an dem Wasser nieder. Sie griff mit den Händen in den Falten ihres Rockes herum.
»Ist das nicht der
Poil de chêvre-
Rock?« fragte sich das Karlinchen. »Dann wäre es ja die Rosalia! Warte Mamsell, dir muß ich einmal in das Gewissen schauen, ob du es auch wirklich bist! Was hast du hier zu suchen?«
Sie trat hart hinter die Kauernde und schob ihren Kopf vor, um ihr in das Gesicht zu sehen. Der lange Ziegenbart strich an der Wange der Wirtstochter hin; sie drehte sich herum. Ein langer Bart, ein noch längeres Gesicht – – zwei große, große Augen und zwei lange, lange Hörner darüber! So mitten in der Nacht – – so plötzlich, unerwartet – – ohne jedes Geräusch – – ganz Kopf an Kopf mit ihr!
»Alle guten Geister! Der Teufel, der Teufel, der Teufel!« brüllte sie in unbeschreiblichem Schrecke kreischend auf und fuhr in die Höhe.
»Die Rosalia, wirklich die Rosalia!« jubelte es in dem Karlinchen. »Die habe ich hier fest, endlich, endlich, endlich! Und mich nennt sie den Teufel! Warte, Mustertochter, der soll dich nun auch holen, und zwar sofort, hier auf der Stelle!«
Sie trat zwei Schritte zurück und senkte den Kopf, holte aus und tat den kräftigsten Stoß, der ihr je in die Hörner gekommen war. Fräulein Rosalia stieß einen unartikulierten Schrei aus und stürzte rücklings und kopfüber in das Wasser, welches sich sofort über ihr schloß. Das Karlinchen trat ganz an die Flut heran und schaute hinein. So stand sie lange, lange Zeit. Was sie gedacht hat, das konnten nur die Wellen erraten, weiter niemand. Dann drehte sie sich um und ging leise, leise über das Brückle.
Als sie hinüber war, machte sie noch einmal rechtsumkehrt und senkte drohend die Hörner, als ob sie sagen wollte: »Jetzt bist du ganz genau dort, wohin du gehörst. Komm mir ja nicht wieder herauf! Das Brückle ist die Grenze!«
Dann schwenkte sie wieder um und schlich sich auf den vorsichtigen Sohlen ihres auch nicht ganz guten Gewissens nach dem Stalle, um sich von dem heutigen Abenteuer auszuruhen. Sie war überzeugt, irgend etwas Großartiges geleistet zu haben, nur wußte sie nicht genau, ob drüben bei den Aurikeln oder hier am Wasserbrückle. – –
Die Mutter und das Herzle standen punkt fünf Uhr auf, wie alle Tage. Dabei sagte die erstere:
»Ich bin vor Sorge einige Male aufgewacht. Es fiel mir ein, daß ich vergessen habe, den Stall zuzuriegeln. Was wird da das Karlinchen von mir denken! Ich muß gleich nach ihr schauen!«
Das Herzle wollte mit dabei sein. Sie mußte so rasch wie möglich wissen, was die fürchterliche Unterlassung für entsetzliche Folgen gebracht habe. Die Ziege war noch da; aber sie schlief so fest, daß sie kaum erweckt werden konnte. Sie mußte aber auf, denn es war Melkenszeit. Auch die Ziegenmilch ist ein Artikel, bei dem man das Angebot mit der Nachfrage in Einklang zu bringen hat! Das Karlinchen wurde also herausgezerrt und stellte sich in Positur, doch betrug sie sich während der Lieferung heute anders als gewöhnlich. Sie war augenscheinlich nicht ganz
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