Abendfrieden
Buchstaben« lösen. »Hobbys! Ich sitze hier vor dem Bild deines Vaters, und die Decke fällt mir auf den Kopf. Was soll ich denn heute machen?«
Ja, was sollte sie machen? War er nun auch für ihre Freizeitgestaltung zuständig? Und diese Pathetik. Vor dem Bild seines Vaters – lächerlich. Sie hatten sich, wenn sein Vater mal da war, doch nur aggressiv umlauert. Jeder klar Denkende hätte diese Ehe als zerrüttet bezeichnen müssen. »Am besten, du beantwortest erst mal die Trauerpost. Damit hast du genug zu tun. – Ansonsten: Heute haben wir den ersten milden Tag, jetzt ist wirklich der Frühling gekommen, da könntest du schon mal Stiefmütterchen pflanzen.«
»Hier?«, bellte es aus der Leitung. »Ich habe diese Wohnung nie gemocht. Hier bleibe ich bestimmt nicht.«
»Aber du hast Erdgeschoss. Und die schöne Terrasse –«
Was sollte das jetzt heißen, dachte Danzik und fühlte einen Anflug von Panik. Die Drei-Zimmer-Wohnung war doch wirklich praktisch, sehr preiswert von der Genossenschaft, ganz in der Nähe gab es eine Ladenzeile und das große Wandsbeker Einkaufszentrum. Gut, der Dulsberg galt als eine etwas proletarische Adresse, aber es war eine reizvolle Laubengang-Siedlung, Anfang der 20er Jahre von dem Architekten Fritz Schuhmacher konzipiert.
Aber das interessierte seine Mutter natürlich nicht, wahrscheinlich hatte sie, obwohl sie dort wohnte, noch nicht mal was davon gehört. Eigentlich passte sie sogar ganz gut dorthin, sie und sein Vater waren ja immer proletarisch geblieben … Aber durfte er so was überhaupt denken? Erhob er sich jetzt über sie, obwohl er doch dankbar sein musste?»Hol mich also morgen um zwölf Uhr hier ab. Das Wochenende wirst du ja wohl Zeit für mich haben.«
Wie bitte? Was hatte sie da gesagt? »Abholen?«
»Ja, um zwölf Uhr. Und sei bitte pünktlich.«
»Tut mir Leid, Mutter, dieses Wochenende geht es wirklich nicht. Ich habe Laura zu Besuch und –«
»Ach ja, deine Laura.« Der schnippische Ton war bereits in ein jammerndes Weinen übergegangen. »Nun gut, wenn dir das wichtiger ist.«
Aufgelegt. Werner Danzik hielt noch einen Moment den Hörer in der Hand, in der hilflosen Verstimmung, wenn man nichts mehr ändern, sondern den unerfreulichen Akt nur noch vergessen kann. Er musste an seine Kindheit denken, als seine Mutter, wann immer sie verärgert war, einfach wortlos die Tür hinter sich zugeknallt hatte.
Er stellte das Radio an und gleich wieder ab. Nervig, was sie da spielten. Er nahm die Pfanne und schmorte die Schalotten und den Knoblauch an. Mit dem aufsteigenden Duft wurde seine Laune besser, der Riesling zum Ablöschen, von dem er sich ein halbes Glas einschenkte, versöhnte ihn mit dem Tag. Als es klingelte, fühlte er wieder die glückliche Aufregung, die Lauras Kommen jedes Mal auslöste.
Sie stand in der Tür und strahlte ihn an. »Ist der Koffer groß genug?«
»Für den Anfang schon.« Er küsste sie und führte sie in ein kleines Gästezimmer. »Hier kannst du dich ausbreiten. Aber komm schnell wieder zu mir.«
Laura nickte. Kurz darauf erschien sie in engen, blumenbestickten Jeans und einem mintgrünen anliegenden Kurzpullover in der Küche. Mit Ende vierzig hatte sie noch eine mädchenhafte Figur, nur ein paar Fältchen unter den blond gesträhnten, halblangen Haaren verrieten die gelebten Jahre. »Hmm, was zauberst du denn heute wieder?«
»Penne con zucchini.«
»Bene, molto bene. Mit Gemüse hast du eine unglaubliche Phantasie, das ist wunderbar, das Fleisch essen hat bei mir sowieso nachgelassen. – Ich deck schon mal auf. An diesem alten zernarbten Küchentisch ess ich am liebsten.«
»Erst mal zum Wohl.« Danzik hielt ihr ein Glas entgegen. »Und wie lässt sich dein neuer Fall an?«, fragte Laura zwischen zwei Bissen. »Da sind wir noch ganz am Anfang, wir haben noch nicht mal die Laborergebnisse.«
»Aber du bist dir schon sicher, dass es Mord ist.«
»Ja, aber mehr so aus dem Bauch heraus.«
»Dabei fällt mir ein, dass die Elisabeth Holthusen mal in der Presse war. Sie wird ja mit ihren Blumen-Bildern von diesem Galeristen in der Magdalenenstraße vertreten. Von Erik Singer. Jedenfalls hat die Frau von dem Galeristen sie mit einer Hundeleine geschlagen, weil sie angeblich mit dem was hätte.«
»Mit über siebzig?« Danzik lächelte amüsiert. »Ja, warum nicht? Du glaubst ja nicht, was sich so alles in Altersheimen abspielt. Außerdem ist sie ein eleganter Typ – gewesen. Jedenfalls war sie ganz übel zugerichtet,
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