Abendfrieden
sogar gesagt: ›Noch ’ne alte Frau. Das passt doch.‹«
»Dass Vorgesetzte immer so eklig sind.« Laura stand auf und fasste nach seiner Hand. »Komm, wir belohnen uns noch mit einem Tiramisu.«
»Wofür?«
»Ach, für alles.«
Brauchte man für ein Leben als Mordermittler ständig einen süßen Ausgleich? Nein, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Schließlich konnte man ein Dessert auch aus purer Lebensfreude essen.
14
Die Firma ›Holthusen Teehandel‹ in der Speicherstadt war für ein paar Tage geschlossen. »Geschlossen wegen Trauerfall.« Henri Holthusen und sein Sohn Thomas sowie Schwiegertochter Anja saßen im Wohnzimmer der Leinpfad-Villa und warteten auf die Bestatterin, um für die ermordete Lissy das Begräbnis zu arrangieren.
Thomas lag auf einem der cremefarbenen Schabrackensofas und hielt sich die Hand über die Augen. Bei allen Vorschlägen, die ihm sein Vater unterbreitete, zwang er sich nur ein »Mach, wie du denkst« ab, ohne die Hand vom Gesicht zu nehmen. Henri Holthusen gab es auf und zog sich mit dem »Hamburger Abendblatt« in seinen braunen Ledersessel zurück. Fast unhörbar war Anja hereingeschlichen und stellte, behutsam wie bei einem Kranken, das Tee-Tablett vor ihrem Mann ab. »Du musst was trinken«, flüsterte sie. »Wieso muss ich was trinken?« Thomas setzte sich mit einem Schwung auf und blickte sie aggressiv an.
Anja wich zurück. Dann schenkte sie schweigend Tee in drei Tassen. »Bitte.« Sie reichte eine ihrem Schwiegervater hinüber, der aber abwinkte. Erregt raschelte er mit der Zeitung und schlug mit der Faust auf die Seite. »Hier: ›ZEUGENAUFRUF IM FALL HOLTHUSEN …«
»Was?« Thomas sprang auf. »Zeig mal her!«
»Gleich, gleich.« Holthusen machte eine Bewegung, als müsse er ein Insekt verscheuchen. »Das ist ja wirklich … und wieder ein Foto von Lissy … anstatt dass sie mal was Positives über uns berichten … Mord, das wird unserer Firma für immer anhaften, das ist ja geradezu geschäftsschädigend …«
»Geschäft, du denkst bei Mutters Tod ans Geschäft!« Thomas’ Stimme überschlug sich. »Gib jetzt die Zeitung her!« Er riss sie dem Senior aus der Hand und warf sich aufs Sofa.
Anja hockte zusammengekrümmt auf einem Sessel. Schweiß überzog ihren Nacken, die Innenflächen ihrer Hände waren feucht geworden. Wie ein großer, hilflos gewordener Vogel sah sie mit ängstlichen Blicken zu ihrem Mann, versuchte, in dem quälenden Warten einen Krumen Information zu erwischen. Aber Thomas ließ sich Zeit, schien einmal, dann Wort für Wort noch ein zweites Mal zu lesen. Endlich schlug er die Zeitung zusammen und schleuderte sie auf den Butler-Tisch. »Sie suchen Zeugen, die sich zur Tatzeit in der Nähe des Hauses aufgehalten und etwas beobachtet haben. Autos, Kennzeichen, auffällige Personen, jeder Hinweis kann wichtig sein. Es ist eine Belohnung von 4000 Euro ausgesetzt. – Na super. Meine Mutter ist 4000 Euro wert. Nur 4000 Euro!«
»Jetzt beruhige dich, das ist doch besser als gar nichts.« Henri Holthusen verschränkte die Arme. »Endlich kommt die Polizei mal auf Touren.«
Thomas sah seinen Vater verächtlich an. Er atmete tief durch und nahm einen Schluck Tee. Dann kam ihm eine Idee. »Vielleicht sollten wir die Belohnung aufstocken.«
»Aufs-tocken? Bei unserer finanziellen Lage? Das vergiss mal, mein Sohn. Aber schnellstens.«
»Darf ich?« Anja fasste vorsichtig nach der Zeitung. Sie faltete die Seite auf und ging unwillkürlich auf Abstand, als ihr das Porträtfoto mit Elisabeth Holthusen entgegensprang. Dann duckte sie sich wieder tief in das Blatt, sie fühlte ein aufkommendes, unbezwingbares Zittern, das von den Händen bis auf den Körper übergriff. Zeugen! War das möglich? Würde sich da jemand finden? Wenn ja, dann würde es wirklich gefährlich werden. Nach den Beschreibungen fertigte man ein Phantombild an, und dann … Anja legte die Zeitung ab, ihre Hände waren jetzt vollkommen außer Kontrolle geraten. Diese Phantombilder, dachte sie, waren meist erstaunlich genau, sicher arbeiteten sie mit Computer. Und irgendwann, wenn sie den Verdächtigen erwischt hatten, kam die Gegenüberstellung … oh, Gott, die Schnur zog sich immer enger zu. Sollte sie Regine anrufen? Die amüsierte sich jetzt mit Latin Lovers in Abano, wollte bestimmt davon nichts sehen und hören, und außerdem wurde wahrscheinlich das Telefon überwacht. Ich brauche was zu trinken, dachte sie, aber ich schaff’s nicht, vielleicht würde mir die
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