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Abendfrieden

Abendfrieden

Titel: Abendfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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Kaiser erinnert. Konsequenterweise hatte man im Thermalgarten sogar ein paar Säulen arrangiert, einige stehend, von Pflanzen umrankt, andere wie zufällig auf dem Boden liegend. Davon abgesehen, entsprach das Hotel genau Regines Geschmack. Der Komfort von vier Sternen, was bei diesen Kurhotels im italienischen Venezien durchaus hochklassig war, eine nur dreistöckige Anlage ohne den üblichen Kasten-Effekt, ein weitläufiger Garten, der fast naturbelassen wirkte.
    Genau genommen lag das Hotel nicht in Abano, sondern, nur wenige Kilometer entfernt, im weniger städtischen lieblichen Montegrotto. Aber jetzt, im Urlaub, konnte sie auf Stadtleben gern verzichten. Und wenn sie sich wirklich eine neue Tasche gönnen wollte, konnte sie ja den Bus nehmen.
    Regine Mewes war wie eine Verdurstende im Hotel angekommen. Der tägliche Terror ihrer Schwiegermutter, den sie ertragen musste, ohne zurückschlagen zu können, hatte sie ausgezehrt. Aber sie wusste: Die Montegrotto-Therapie würde wirken. Und das nicht nur auf ihren strapazierten Rücken. Die Ruhe, die sich gleich nach der Ankunft wie ein sanfter Schleier über sie legte. Die weiche Luft, die ihren halbnackten Körper umspülte und alle Aggressionen ihrer aufgepeitschten Seele wegschwemmte. Wenn sie aus dem Innenbad hinausschwamm ins Außenbad, dann schloss sie die Augen und sog den Duft der roten und weißen Blumen ein, deren Namen sie nicht wusste, aber irgendwann erfragen wollte. Sie drehte sich schwimmend im Kreis und sah auf die grünen welligen Hügel, die sie von allen Seiten besänftigend umschlossen. Ihre geliebten Colli Euganei. Die Euganeischen Hügel.
    Die Saison hatte gerade begonnen. Es war noch nicht sehr warm, aber man konnte schon im Garten liegen. Regine hatte sich in den hoteleigenen weißen Bademantel gehüllt und döste auf der Gartenliege vor sich hin. Träumen, immer weiterträumen. Tief und grenzenlos die friedliche Ruhe genießen. Obwohl – irgendwann würde sie tanzen gehen. Ins »Casa Blanca«. Wenn sie sich erholt hatte. Sie zog erneut wie eine Inhalierende die Luft ein. »Signora! Teléfono!« Der schwarz gekleidete junge Luigi vom Empfang lief auf sie zu, um gleich wieder kehrtzumachen. Regine sprang auf, fuhr in ihre Badeschuhe und hastete hinterher. Wer konnte das sein? Norbert? Der hatte doch vorgestern angerufen. Mehr pflichtgemäß. Einen Anruf pro Woche pflegte er sich abzuringen. Weil sie, Regine, es ja nicht tat. Das machte zwei Anrufe für zwei Wochen. Aber diesmal hatte sie ja nur eine Woche gebucht. Und selbst diese eine schwiegermutterlose Woche durchzusetzen, war schwer genug gewesen. Nein, so überwältigend waren Norberts Gefühle nicht, dass er schon wieder anrufen würde. Waren sie es je gewesen? Wie auch immer. »Es kommt nichts Besseres mehr nach«, hatte ihr eine Wahrsagerin prophezeit.
    Regine lief in kleinen Schritten über die Fliesen am Innenschwimmbad vorbei. Oder war es Anja? Plötzlich fühlte sie ihren Puls in den Schläfen rasen. Aber das war noch zu früh … Sie hatten doch ausgemacht, dass Anja … Sie beschleunigte das Tempo und stand keuchend dem graumelierten Empfangschef gegenüber. Der deutete eine winzige Verbeugung an und reichte ihr den Hörer. »Signora Mewes. – Prego!«
    Regine drehte sich zur Seite. »Mewes. – Was? Das ist ja furchtbar, Norbert. – Bewusstlos? Im Koma? – Ah, im Eppendorfer Krankenhaus. – Glaubst du, dass sie mit ihrer Zigarette … Ja, entschuldige, natürlich ist das jetzt egal. – Bei Tante Sophie, ja das beruhigt mich. – Von Pinneberg kannst du doch aber die S-Bahn ins Institut nehmen. – Du schaffst das nicht? Aber ich habe einen Sonderflug gebucht, das kann ich nicht umterminieren. – Ja, wie gesagt, am Sonnabend, also in drei Tagen. – Gut, ich überleg es mir, ich ruf dich wieder an.«
    »Schlechte Nachricht, Signora Mewes?« Giacomo, der Empfangschef, zeigte die Trauermiene eines Bernhardiners und beugte sich neugierig vor.
    Regine Mewes sah ihn abwesend an. Ihr schien, als habe sich ein Gespinst vor ihre Augen geschoben. Sie knipste ein Lächeln an. »Nein, nein, alles halb so schlimm.«
    Dann stürzte sie zum Fahrstuhl und drückte mehrmals heftig die Nach-oben-Taste.
    In ihrem Apartment ließ sie sich auf den blau-weiß geblümten Sessel fallen. Ihre Gedanken kreuzten hektisch hin und her, fanden nirgends Halt, tauchten auf und verschwanden als chaotische Fetzen. Endlich bahnte sich etwas Klarheit in ihr Gehirn. Nein, sie musste nicht zurückkehren.

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