Abendfrieden
drückte Danzik die Notiz in die Hand. »Verlassen Sie sofort meine Wohnung, sofort!« Ihr gelbliches Gesicht war hochrot geworden, sie schien kurz davor, zusammenzubrechen.
Die Kommissare hatten sich erhoben. »Sie brauchen uns wirklich nicht hinauszuwerfen«, sagte Danzik freundlich. »Wir finden den Weg allein.« Tügel nickte ihr zu.
20
Sonntagmittag. Werner Danzik räumte die Küche auf, als das Telefon klingelte. Laura? Es war doch alles besprochen. Für heute Nachmittag waren sie verabredet, um Lauras Eltern zu besuchen. Danzik hatte sie schon einmal gesehen, bei einem Kaffeetrinken in der Stadt, aber zu einem richtigen Kennen lernen war es noch nicht gekommen. Er sah auf die Uhr. Schon so spät. Und gleichzeitig präzise die Zeit seiner Mutter. Es waren genau die letzten Minuten, bevor sich Gerda Danzik zur Mittagsruhe legte. »Danzik.«
»Du hast wieder nicht angerufen«, kläffte es aus dem Telefon.
Danziks Laune sank keineswegs, im Gegenteil, er rieb sich innerlich die Hände. Seine Rechnung schien aufzugehen. »Ach, ich hab gar nicht auf die Zeit geachtet. Na, nun hast du ja angerufen.«
»Ja, notgedrungen. Ich finde das sehr ungezogen von dir, dass du deine alte Mutter so im Stich lässt. Der Sohn von Frau Brandt ruft seine Mutter täglich an – täglich!«
»Ich bin aber nicht der Sohn von Frau Brandt.« Jetzt war es aber genug, er sollte das zänkische Hin und Her beenden. »Leider. – Wie ist nun die Planung heute? Holst du mich ab? Oder soll ich eine Taxe nehmen?«
»Die Planung ist so, dass Laura und ich heute ihre Eltern besuchen. Im Seniorenheim. Die beiden wollen den Lebensgefährten ihrer Tochter nun endlich genauer unter die Lupe nehmen.«
»Aha.« Es entstand eine längere Pause. Danzik wusste genau, was sich jetzt im Kopf seiner Mutter abspielte. Der Abscheu vor so etwas wie Seniorenheimen, in die nach ihrer Meinung alte Leute abgeschoben wurden, kämpfte mit der Neugier auf Lauras Eltern und der Aussicht, der Langeweile ihres Daseins für ein paar Stunden zu entkommen. Abwechslung musste her, egal, was es war. Aus diesem Grund hatte sie sich schon an Nachbarinnen angehängt, um völlig fremde Menschen in Krankenhäusern zu besuchen. Auch Beerdigungen waren nicht vor ihr sicher. Hauptsache, es passierte was. Auf die Idee, ihre Zeit mit eigenen Interessen zu füllen, war sie noch nicht gekommen.
»Wir treffen uns also heute nicht. So ein Heim-Milieu ist ja wirklich nichts für dich.«
»Das würd ich nicht sagen. Kann doch mal ganz interessant sein.«
»Ich bitte dich – nur alte Leute. Da kriegst du ja gleich Depressionen.«
»Wieso? Wenn Lauras Eltern dort leben, kann es doch nicht so schlimm sein.«
Danzik grinste vor sich hin. »Ich muss jetzt auflegen. Wir sehen uns nächstes Wochenende.«
»Nein! Nun warte doch mal. Ich möchte mitkommen.«
»Mitkommen? Also, ich weiß nicht, ob Laura damit einverstanden ist. Und ihren Eltern ist es sicher auch nicht recht.«
»Wie kannst du so was sagen! Schämst du dich etwa wegen deiner alten Mutter?«
»Nein, natürlich nicht, aber …«
»Also, Schluss jetzt, ich komme mit. Ihr holt mich dann ab, ist doch für euch ganz einfach, es liegt ja am Weg.«
Werner Danzik seufzte vernehmlich durch den Hörer. »Gut. Wenn du es unbedingt willst. Um drei Uhr stehen wir vor der Tür.«
Er legte auf. Beschwingt goss er sich einen Schnaps ein. Dann wählte er Lauras Nummer. »Ich bin’s. – Es hat funktioniert!«
»Wunderbar. Wann soll ich dich abholen?«
»Sei bitte gegen zwanzig vor drei hier. Ciao, meine Süße!«
Pünktlich klingelte es zweimal an seiner Haustür. Danzik sah aus dem Fenster. Unten stand Lauras lavendelfarbener Renault. Er rannte hinunter und warf sich auf den Beifahrersitz. Sie küssten sich, als wollten sie sich etwas versprechen, dann lehnte sich Danzik zurück. »Ich bin gespannt, ob meine Mutter anbeißt.«
»Ich auch.« Laura startete. Über Klosterstern, Stadtpark, City-Nord ging es zum Dulsberg. Oberschlesische Straße. Laura manövrierte in eine Parkzeile, es dauerte ein paar Minuten. »Ich finde, diese Laubengang-Architektur hat was. An Stelle deiner Mutter würde ich hier wohnen bleiben.«
»Sie weiß es aber nicht zu schätzen. Obwohl es so preiswert ist und sie sogar eine kleine Terrasse hat.«
Gerda Danzik stand schon ausgehbereit in der Tür. Wieder trug sie den gelbgrünen Regenmantel, den blauen Wollrock und die braun gesprenkelte Polyesterbluse. Danzik wäre fast explodiert, aber er
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