Abendfrieden
häufig. Auch ohne kriminellen Hintergrund. Brennende Adventskränze, nicht ausgestellte Kaffeemaschinen, Einschlafen mit angezündeter Zigarette … da gibt’s ’ne ganze Menge. Irgendwann wird man wohl mehr oder weniger dement.«
»Dement«, wiederholte Danzik.
Plötzlich schob sich ein unangenehmes, irritierendes Bild in seine Gedanken: Seine Mutter, wie üblich mit Zigarette in der Hand, war eingenickt, noch immer trug sie, auch am Mittag, ihren moosgrünen Nylon-Morgenrock. Die Zigarette war ihr aus der Hand gefallen, sie schreckte auf, aber da stand sie schon in Flammen. Sie schaffte es noch bis zur Dusche, doch das Nylon war schon mit ihr verschmolzen, verschmolz immer mehr, Nylon und Haut war nicht mehr auseinander zu halten, schreiend verbrannte sie …
»Was ist los, Werner? Geht’s dir nicht gut?«
»Doch. – Ab wann wird man denn dement? Du als Medizinjournalistin musst es doch wissen.«
Laura probierte einen Kiwisalat. »Das ist vielleicht ’ne Frage. Im Alter kann das jederzeit passieren.«
»Und wann ist man alt?«
Laura überlegte. »Wenn man keine Lust mehr auf Sex und aufs Arbeiten hat.«
»Muss ich drüber nachdenken. Falls ich nicht zu dement dazu bin.«
»Du? Also, vor siebzig würde ich mir da keine Gedanken machen.«
Mutter ist 78, dachte Danzik. Statt mit einer Zigarette könnte es auch mit einer nicht abgestellten Herdplatte geschehen. Ist sie noch verantwortlich? Vielleicht muss ich sie wirklich bei mir aufnehmen. Nein, verflucht, kein Kind muss seine Eltern aufnehmen. Ist ja auch illusorisch. Betreuen kann ich sie schließlich sowieso nicht. Jeder erwachsene Mensch muss berufstätig sein, um seine eigene Rente zu erwirtschaften. Und eben deshalb gibt es ja die Heime. Jedenfalls bei uns hier. Im Orient gibt es keine Heime, die kennen das gar nicht, für jeden Gebrechlichen findet sich irgendein Verwandter. Habe ich überhaupt Verwandte?»Im Ernst«, lachte Laura. »Außerdem pass ich schon auf, wenn es mit dir geistig abwärts geht.«
»Andere beurteilen also die eigene Demenz und entscheiden über einen. Ob man noch in der Wohnung bleiben darf oder ob man ins Heim muss.«
»Ja, wenn man zur Gefahr für die Allgemeinheit wird. Das mit der Parkallee ist bestimmt so ein Fall. Aber Heim ist ja nicht per se was Schlechtes. Manche finden das auch gut, weil sie sich dort sicherer fühlen. Außerdem gibt es inzwischen so viele Formen: betreutes Wohnen, Generationen-Projekte und was nicht alles.«
»Das liegt aber nicht jedem. Manche wollen partout in ihrer Wohnung bleiben, auch wenn sie tot umfallen und da liegen bleiben.«
»Könnte mir auch so gehen. Wenn nötig, lass ich mir den Lifta-Treppen-Lift einbauen. Und du?«
Danzik griff nach ihrer Hand.
»Ich stelle mir vor, dass wir beide bis zum Schluss in unserer Wohnung leben.«
»In welcher?«
»Ja, in welcher?« Jetzt musste auch Danzik lachen. »Jedenfalls bleiben wir privat.«
»Aber einer oder eine bleibt übrig.«
»Immerhin rauchen wir nicht.«
»Das ist ja tröstlich. Zum Wohl, Werner! Auf uns Trinker!«
»Zum Wohl! Carpe diem!«
Laura stellte ihr Glas ab. »Pass auf, ich erzähl dir einen Raucherwitz. Das heißt, eigentlich ist es eine Nachricht aus der Zeitung. Also, einer raucht. Sagt der Arzt: Wir müssen Ihnen leider das linke Bein amputieren. Macht nichts, sagt der Raucher, ich hab ja noch das rechte. Leider müssen wir Ihnen auch das rechte Bein amputieren, sagt der Arzt. Macht nichts, sagt der Raucher, es gibt ja Rollstühle.«
»Hat die Geschichte eine Pointe?«
»Dann setzt er sich mit der Zigarette aus Versehen in Brand. Und weil er nicht mehr laufen kann, verbrennt er.«
»Nicht sehr witzig.«
»Stimmt. War eigentlich die alte Dame, die man bewusstlos aus dem Haus getragen hat, Raucherin?«
»Das wissen wir noch nicht. Jedenfalls war sie auf den Rollstuhl angewiesen, wie mir ihre Cousine sagte, und so gut wie gehunfähig.«
Danzik begann, anhaltend zu seufzen. Plötzlich türmte sich der Fall Holthusen vor ihm auf, und wie in einer Vision türmte sich auf diesen ein zweiter Fall: Mordsache Amalie Mewes. »Übrigens sind Brände oft auch Vertuschungsmorde.«
»Dann hättest du noch mehr am Hals. Freizeit ade.«
»So oder so kommt auf unser Team einiges zu. Die haben ja jetzt alle Kräfte für den Fall Timo Gerken abgezogen, du hast das sicher in der Zeitung gelesen.«
»Der kleine Junge, der noch immer verschwunden ist.«
»Ja. Insofern war es klar, dass wir hier ran müssen. Kleinschmidt hat
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