Abendland
ich erwarte es von ihm. Als sie wieder hinter dem Tresen war, begann er, auf die weiße rauhe Seite einer der Hälften zu schreiben, formte seine linke Hand zu einem Mäuerchen – wie ein Schüler, der nicht will, daß ihm einer abschaut; er klappte den anderen Teil darauf und schob mir den Bierdeckel zu.
Brigitte Margret Ida Mohnhaupt stand da.
»Und jetzt?« fragte ich.
»Das ist es, was ich meine.«
»Ich habe schon wieder keine Ahnung, was du meinst.«
Nun schien er doch ratlos zu sein. Seine Augen weiteten sich, sie starrten auf meine Brust. Nach einer Weile flüsterte er: »Ich will mitmachen bei denen.« – Na also! – »Jetzt weißt du aber, was ich meine.«
»Ja, jetzt weiß ich es.«
Soviel wußte ich – soviel wußte damals jeder: Brigitte Mohnhaupt war Mitglied der Rote-Armee-Fraktion, sie wurde als Mittäterin bei der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback genannt (erschossen im Auto an einer Ampel zusammen mit seinen beiden Begleitern Wolfgang Göbel und Georg Wurster; die Mörder saßen auf einem Motorrad; in einem Flugblatt einer linken Gruppe – ich weiß nicht welcher, es gab so viele – war daraufhin zu lesen, es werde empfohlen, gewisse Probleme in Zukunft mit einer Suzuki 750 GS zu lösen), ebenso als Mittäterin bei der Ermordung von Jürgen Ponto, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank (erschossen in Oberursel bei Frankfurt, nachdem sein Patenkind Susanne Albrecht die Mörder in sein Haus geführt hatte), außerdem soll sie an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer und an der Ermordung der drei ihn begleitenden Polizisten Reinhold Brändle, Roland Pieler und Helmut Ulmer sowie seines Chauffeurs Heinz Marcicz beteiligt gewesen sein. Ich hatte das alles sehr aufmerksam verfolgt – mit einer Mischung aus Faszination und Ekel. Tagtäglich waren vor der Mensa in Frankfurt Flugblätter der verschiedenen linken Fraktionen verteilt worden, in denen entweder in aggressiv militanter Form oder in einer nachgerade monströsen Weinerlichkeit für Solidarität mit den RAF-Genossen geworben wurde, die, wie es in einem dieser Blätter hieß, »in Vernichtungslagern« gefangengehalten würden, womit eine Parallele zwischen Stammheim und Auschwitz hergestellt war, was den Schreibern wohl als besonders schlau vorkam. Berühmt wurde der Nachruf auf Buback, den eine Göttinger Studentenzeitung unter der Autorenschaft eines gewissen »Mescalero« veröffentlicht hatte, in dem dieser seine »klammheimliche Freude« über den Mord kundtat. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an ein Flugblatt des KBW in den ersten Wochen nach dem Mord an Schleyer, in dem mit atemlos hysterischen Wendungen über die Sanktionen gegen das »Schussenrieder Jugend-Blättle Motzer« berichtet wurde, weil in einer Ausgabe über den Ermordeten hergezogen worden war. Daß den Schussenriedern die Subventionen gestrichen wurden, war für die Schreiber des Flugblatts offenbar ein unvergleichlich größeres Verbrechen gegen die Menschlichkeit als die drei Kugeln im Körper von Hanns-Martin Schleyer. Ich habe mir dieses und auch einen Stapel anderer Flugblätter aufgehoben, und als zwei Monate später Dagmar und ich uns kennenlernten und schon bald darauf unsere Streitereien begannen, die sich hauptsächlich um Politisches drehten – wenigstens glaubten wir, es sei so –, zog ich nicht nur einmal diese Zettel mit dem Emblem einer Faust, die eine Kalaschnikow stemmt, oder dem fünfzackigen Stern, über den eine Maschinenpistole und die Lettern RAF gelegt waren, aus der Schublade und hielt sie ihr vor die Nase; was natürlich unfair war, denn niemals hatte sie auch nur eine Spur von Sympathie für die Mörder gezeigt. Allerdings war sie der festen Überzeugung, die Stammheimer Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe seien ermordet worden, entweder vom Verfassungsschutz ohne Billigung der Bundesregierung oder vom Verfassungsschutz mit Billigung der Bundesregierung. Ich sagte: »Und wenn es nicht so ist?« Sie sagte: »Es ist aber so.« Ich sagte wieder: »Und wenn es doch nicht so ist?« Und sie sagte: »Was ist, wenn es doch nicht so ist?« »Dann«, sagte ich, »haben wir es mit einem Sonderstück von Perfidie zu tun. Den eigenen Selbstmord so zu inszenieren, daß man glauben soll, es sei Mord!« Das traute sie den RAFlern nicht zu. Und ich muß sagen, ich eigentlich auch nicht. Wer die Entführer und Mörder von Hanns-Martin Schleyer waren, das wußte
Weitere Kostenlose Bücher