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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Maybelle besorgte den Haushalt der Glancys, und weil die Putzfrauen, die in den Trainingsräumen putzten, in einem Aufwisch auch die Böden in der Wohnung mitnahmen und Becky und Gil wenigstens dreimal in der Woche auswärts aßen, blieb ihr viel Zeit für sich selbst – »die ich«, wie sie sich später mir gegenüber ausdrückte, »verwende, um mich vom Fundament aufwärts zu renovieren, und zwar innen ebenso wie außen und ganz innen.«
    Wir verabredeten uns in einem Café in der Bleeker Street in der Nähe meines Hotels. Sie komme mit dem Taxi aus Brooklyn; es sei besser, wir träfen uns in meiner Gegend, hatte sie am Telefon gesagt, als daß ich mich in ihrer verirre und vielleicht für immer verloren sei; und hatte dabei so weich gelacht, daß mir war, als spinne mich aus dem Hörer heraus eine seidige Heimeligkeit in einen Kokon ein, und ich dachte, nun wird doch noch alles gut und, wer weiß, vielleicht sogar besser. Ihre Stimme hatte nicht verwundert geklungen, als ich meinen Namen sagte, und als ich ihr erklären wollte, woher wir uns kennen, daß mich Dr. Abraham Fields ihr vorgestellt habe, hatte sie mich gleich unterbrochen und gesagt: »Luke, ich weiß doch, wer du bist!« Als hätte sie auf diesen Anruf gewartet, jedenfalls mit ihm gerechnet. Ich war eine Stunde vor der verabredeten Zeit im Café, schrieb Sätze in mein Notizbuch, die erste Sätze einer Erzählung hätten sein können, in der Hoffnung, aus dem ersten entstehe irgendwann einmal ein zweiter und ein dritter Satz, der vielleicht schon eine Ahnung in mir aufkommen ließe, was für eine Story hier erzählt werden wollte – aber ich konnte mich nicht konzentrieren, ich war zu aufgeregt.
    Maybelle winkte mir von der Straße aus zu, als sie das Taxi bezahlte, marschierte stracks durch das Café zu meinem Tisch und sagte: »Schade, daß Abe nicht mehr lebt, er hätte uns beide so gern verkuppelt.«
    Sie sah sehr gut aus; noch kraftvoller, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie trug dunkelgelbe hohe Schuhe und ein dunkelgelbes Kleid mit Spaghettiträgern, außerdem ragten ihre Fingernägel gute drei Zentimeter über die Fingerkuppen, was ja wohl signalisieren sollte, daß sie für körperliche Arbeit nicht zu haben war. Später erklärte sie mir, sie kaufe sich niemals Röcke, fast nur Kleider, jedenfalls seit ihrem vierzigsten Lebensjahr, weil sie nämlich so stolz auf ihre Figur sei, und die mache ab Vierzig in einem Kleid einfach mehr her als in T-Shirt und Hose. Ein Kleid sei um so vieles raffinierter, denn was der Betrachter bei einer Hose im Geist abziehe, rechne er bei einem Kleid dazu. Außerdem liebe sie die Einfarbigkeit, die koste zwar meistens ein Stück mehr, aber man steche von den anderen ab, und genau das wolle sie: Ich bin ich, und du bist du. Jeder Mann, jede Frau hatte sich zu ihr hingedreht, als sie das Café betrat, und sie hatte die Blicke entgegengenommen, wie mir schien, mit einem Zug von Trotz um den Mund, als hätte sie sich diese Huld in einem langen Verfahren erstritten. Es war spätsommerlich schwül draußen, die Türen zur Straße waren ausgehängt, die Klimaanlage bewirkte nicht mehr, als daß sich die Farne, die hier auf Messingständern zwischen den Tischen wucherten, an den Spitzen ein wenig bewegten. Maybelles Oberarme glänzten von Schweiß, und als ich ihr eine von meinen Marlboro anbot und sie mir das Feuerzeug reichte, konnte ich einzelne Muskelstränge unter der Haut wahrnehmen. Ich roch ihr Parfüm, und mir fiel ein, daß Abe erzählte hatte, sie verwende ein bestimmtes, durchaus billiges Rasierwasser, das an ihr jedoch einen unnachahmlich zauberhaften Duft entwickle.
    »Warum lachst du, Luke?« fragte sie.
    »Mir ist gerade eingefallen, was Abe über dich gesagt hat.«
    »Ihr habt also über mich gesprochen?«
    »Sehr ausführlich sogar.«
    »Und was hat er dir erzählt? Daß ich sein Gottesbeweis sei?«
    »Das auch, ja.«
    »Hast du auch ein so gutes Gespür dafür, was eine Frau ärgern könnte, Luke? Siehst du in mir ebenfalls eine Art von Gottesbeweis?«
    »Also, darüber habe ich bis jetzt noch nicht nachgedacht, Maybelle, wirklich nicht.«
    »Ich bringe dich in eine Zwickmühle, stimmt’s? Wenn du ja sagst, bist du genauso mies wie Abe, wenn du nein sagst, bist du uncharmant. Das will ich nicht, Luke. Reden wir von etwas anderem. Was kann ich für dich tun?«
    Obwohl wir uns ja erst einmal gesehen hatten – woran sie sich angeblich kaum erinnerte –, sprachen wir bereits nach wenigen Minuten

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