Abendland
Seiten durch und besprachen Punkt für Punkt. Danach sagte er, ich dürfe ohne Skrupel glücklich sein. Ich hätte ihn gern gefragt, ob auch Maybelle und er irgendwann ein Paar gewesen waren.
Bevor ich den Vertrag unterschrieb, fragte ich Dr. Kupelian, ob der Verlag mir einen Vorschuß zahle. Er sagte, ich solle eine Summe einsetzen, und er würde sich mit dem Verleger darüber unterhalten. Ich schrieb: Als Vorschuß bezahlt der Verlag die Summe, die Sebastian Lukasser dem Memorial Hospital in Brattleboro, Vermont, und die Summe, die derselbe Dr. Michaelis schuldet. Dahinter setzte ich Telefonnummer und Anschrift der Spitalsverwaltung und die Adresse von Dr. Michaelis. Woraufhin Dr. Kupelian einen Lachkrampf bekam und sagte, der Verlag habe von sich aus mit einem Vorschuß von um die 80.000 Dollar gerechnet. Woraufhin Mr. Albert mich unterbrach und mit zitternder Stimme sagte: »In diesem Falle möchte ich feststellen, daß Mr. Lukasser 100.000 Dollar verlangt.« Woraufhin Dr. Kupelian den Westernhelden mimte, schmale Augen machte und den Mund verzog, mit dem Finger auf Mr. Albert zeigte und mit John-Wayne-Stimme sagte: »It’s okay, you go ahead and do it« – und mit lockerer Hand genau diesen Betrag eintrug. Nachdem er sich verabschiedet hatte, umarmte ich Mr. Albert, und wir lachten lange und laut und hatten Spaß bis spät in die Nacht hinein.
Im März erhielt ich eine Einladung des Germanistischen Instituts der Miami University in Oxford, Ohio. Man bat mich, einige meiner Geschichten vorzulesen und mit den Studenten darüber zu diskutieren. Ich sagte zu – und blieb zwei Monate.
In New York wartete eine weitere Einladung auf mich, vom Germanistischen Institut der State University in Dickinson, North Dakota. Dort lehrte eine Österreicherin aus Leoben die deutsche Sprache; sie habe, schrieb sie, Woche für Woche meine Geschichten gelesen und wünsche sich, daß ich ihren Studenten etwas erzähle. – In North Dakota nun blieb ich vom Herbst 1984 bis zum Herbst 1985 – bis ich von Carl jenen Brief erhielt, in dem er mich darum bat, nach Österreich zu kommen, weil sich im Leben meiner Mutter eine tiefgreifende Veränderung abzeichne.
(Zu den ersten drei Punkten meiner Wunschliste auf dem New Calvary Cemetery in Queens möchte ich anmerken: Die Morphiumabhängigkeit machte mir damals in der Tat schwer zu schaffen. Nachdem Dr. Michaelis verschiedene Morphinderivate ausprobiert hatte, weil er irrigerweise meinte, so könne die Abhängigkeit gemildert und bald überhaupt überwunden werden, wechselte er, als ihn mein Verlangen nach immer höheren Dosen aus diesem Konzept brachte, erst zu einem Piritamid-, dann zu einem Pentazocin-, zuletzt zu einem Dextromoramidpräparat, bevor er auf Methadon umstieg. Schließlich geriet meine Behandlung völlig aus dem Ruder, und er kehrte zu Hydromorphin zurück. Inzwischen konnte ich längst ohne Krücken gehen; das einzige, was von dem Unfall zurückgeblieben war, war ein leichtes Schlenkern des rechten Beins – eben der sogenannte Steppergang. Ich hatte eigentlich auch keine Schmerzen mehr, und hätten wir von Anfang an einen vernünftigen Ausstieg durchgezogen, wäre ich wahrscheinlich medikamentenfrei gewesen und hätte bei Wetterumschwüngen mit Aspirin oder Paracetamol mein Auslangen gehabt. So zog sich meine Morphinsucht fast über ein Jahr hin, am Ende verschaffte ich mir Spritzen und Heroin über einen Dealer bei der Hühnerbraterei; dazu kam, daß ich nun auch noch Barbiturate nahm, weil ich unter Schlafstörungen litt. Im Sommer setzten Panikattacken ein, und ich stürzte in eine schwere, allein durch diesen abenteuerlichen Drogen- und Medikamentenmix ausgelöste Depression. Dr. Michaelis verschrieb mir Amitriptylin, das mir jede Libido nahm und mich wie ein Zombie durch die Tage schlurfen ließ. Um den Hang-over-Effekt abzufedern, nahm ich Aufputschmittel, schließlich Kokain, das ich unter das Heroin mischte und mir spritzte. In der Nacht konnte ich nun erst recht nicht schlafen, und am Tag war es mir nicht möglich, auch nur eine halbe Stunde lang bei einer Sache zu bleiben. In North Dakota endlich unterzog ich mich einer radikalen Selbstentwöhnung, die übrigens auch das Zigarettenrauchen mit einschloß – ein Horrortrip, der eine knappe Woche dauerte. Heroin, Kokain und den anderen Shit wurde ich los; aber nach drei Monaten fing ich wieder zu rauchen an. Noch etwas: Es mag einigermaßen komisch klingen, wenn ich mir auf dem Friedhof vor Maybelles Grab
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