Abendland
was genau sein Arbeitsbereich war, wußte ich nicht; ich vermutete, daß sein Job dem eines höheren städtischen Beamten bei uns entsprach. Er hatte einen krummen, griesgrämigen Rücken und knickte beim Gehen etwas ein; er war ein witziger Kerl mit einer sprunghaften, sarkastischen Phantasie. Er habe, sagte er mir einmal mit eisernem Gesicht, nur aus einem einzigen Grund Arkansas verlassen und sein Lager wieder in North Dakota aufgeschlagen, weil nämlich dort unten laut Gesetz ein Mann seine Frau höchstens einmal im Monat schlagen dürfe, hier heroben aber ein versuchter Selbstmord als Mordversuch gelte und mit der Todesstrafe geahndet werde. In seiner Gegenwart verkrampfte sich ständig ein Lachen unter meinem Adamsapfel; ich mochte ihn gern. Toni wirkte dagegen alpin stramm und streßfrei humorlos; sie hatte freundliche Apfelbacken und war glücklich, mit mir in ihrem steirischen Dialekt sprechen zu dürfen; spickte dabei das Heimatliche dicht mit amerikanischen Ausrufen des Erstaunens, der Freude, des Übermuts und des Spottes – »Wow!«, »Yeah!«, »Marvelous!«, »Crazy!« –, ob es nun paßte oder nicht. Sie und Lenny seien schon seit zehn Jahren ein Paar, teilte sie mir stolz mit, aber sie lebten nicht zusammen. Ich merkte, sie erwartete, daß ich »Warum?« sage; ich sagte es aber nicht. Lenny sammelte alles, was mit den Indianern in North und South Dakota zu tun hatte – den Ojibwa und den Sioux und den Yanktonai-Sioux, wie er mir erklärte; er hatte einen Bildband über deren bemerkenswerte vergangene Kultur und das erbärmliche Leben, das sie heute führten, herausgegeben – auf der linken Seite früher, auf der rechten Seite heute –, den er mir am Weihnachtsabend 1984 im Tausch gegen Musicians gab. Nachdem ich am Ende meiner Vorlesungen vor Antonia von der Prärie und dem Himmel darüber geschwärmt und gesagt hatte, ich könne mir durchaus vorstellen, eine Weile hier in North Dakota zu leben und zu arbeiten, hatte Lenny vorgeschlagen, mir sein Haus im Nationalpark zu zeigen; wenn ich Interesse hätte, wolle er es mir gern für 150 Dollar im Monat vermieten, inklusive Hut, er komme ohnehin kaum noch dazu herauszufahren.
Das Haus war von der Veranda aus betretbar, es hatte nur einen Raum, in seiner Mitte stand ein hoher gußeiserner Ofen; über seinem Feuertor war ein Backrohr, von der Decke hing ein Drahtgitter, auf dem ich Wäsche und Schuhe trocknen konnte. Die Wände bestanden aus rohen Brettern und waren mit Häuten behängt, auf die indianische Ornamente gemalt und gebrannt waren. Ein grobgehobelter Tisch stand in einer Ecke, zu den Fenstern hin eine zusammengenagelte Sitzbank, zwei Holzsessel waren da und ein schmales Bett mit einer harten Matratze. Die andere Seite des Raumes bildete die Küche, hier hingen Regale mit Geschirr, ein Spülkasten mit einem Emailbecken war in eine Ecke eingelassen, darauf konnte man eine Arbeitsplatte legen, einen kleinen Eisschrank gab es und zwei elektrische Herdplatten. Strom erzeugte ein Dieselgenerator draußen auf der Veranda. Wasser gab es in der Hütte nicht. Man mußte mit einem Eimer fünfzig Meter in die Talsenke gehen, dort war eine Pumpe. Im Winter rate er mir, mich mit Wasser aus der Stadt einzudecken, sagte Lenny, sonst bleibe mir nichts anderes übrig, als in einem Topf Schnee zu schmelzen – falls Schnee liege, es sei nämlich auch schon vorgekommen, daß das Thermometer auf minus 30 Grad Fahrenheit gesunken, aber bis in den März hinein kein halber Daumen hoch Schnee gefallen sei. Außerdem, darauf müsse er mich aufmerksam machen, könne es vorkommen, daß bei sehr niederen Temperaturen der Diesel sulzig werde, in so einem Fall werde das Leben hier draußen doch ziemlich frugal. Toni schlug vor, daß ich über den Winter in ihr Haus ziehe; sie werde ein Gästezimmer für mich herrichten. Ich aber freute mich auf den Winter; ich nahm mir vor, unter allen Umständen in der Wildnis auszuharren. An die Außenwände der Hütte war Brennholz gestapelt; wenn ich ökonomisch umsichtig heize, werde es genügen, sagte Lenny. (In diesem Punkt irrte er sich übrigens gewaltig.) Der erste Stock des Hauses, der Dachboden, war leer und konnte nur über eine Leiter von außen erreicht werden. Er sei vom Erbauer wohl nur deshalb aufgesetzt worden, um eine schöne Proportion zu wahren und das Dach möglichst steil halten zu können, wegen der Schneemassen nämlich. Die Toilette war über einer Grube an die Veranda angebaut.
So war ich also in North
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