Abendland
Land der Herero an die deutschen Gesetze halten und die Herero mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor Übergriffen anderer Stämme oder Nationen schützen. Wie das Deutsche Reich letzteres bewerkstelligen wollte, wo doch die deutsche Schutzmacht zu dieser Zeit inklusive Polizeimeister von Goldammer aus exakt einundzwanzig Mann bestand, wurde nicht vermerkt. Warum auch! Kapitän Maherero konnte zwar ein klein wenig lesen und schreiben, aber nur auf holländisch. Der Vertrag aber war in Deutsch gehalten. Wie sich später herausstellte, wußte Maherero in keinem Augenblick, was die Prozedur bedeutete. Er meinte, es handle sich um ein »exotisches« Ritual, eine Art Glückszauber. Er orientierte sich lediglich an dem freundlichen, ehrlichen Gesicht von Hanns Alverdes. – Und Hanns Alverdes meinte es ja auch ehrlich, und seine Freundlichkeit war nicht gespielt. Das Ergebnis, sagte er sich, würde seine Ideen befördern. Und nur darauf kam es schließlich an.
Leutwein und die beiden anderen brachten die Verwundeten in die Missionsstation von Otjimbingwe, Alverdes aber zog mit Maherero und seinen Kriegern nach Okahandja, wo der Häuptling zu dieser Zeit residierte. Er wolle auskundschaften, was die Herero zum Handel beitragen könnten.
Die Herero hatten schon seit zwanzig Jahren Kontakte zu den Weißen, vor allem zu den Missionaren. Sie hielten diese Männer wohl für kuriose Figuren, und weil sie an allem Magischen und Rituellen Interesse hatten und fremde Riten nicht weniger ängstlich respektierten als die eigenen, hatten sich viele von ihnen, ohne daß die Missionare große Überzeugungsarbeit leisten mußten, taufen lassen. Das Alte Testament wurde nach Namen für die neuen Christen abgegrast. So kam es, daß Maherero mit Vornamen Samuel hieß. Er war ein Stück älter als Alverdes. Die beiden freundeten sich miteinander an.
Für den Gast wurde eine eigene Hütte gebaut, es war ihm verboten, auch nur einen Handstreich zu tun; bis an sein Lebensende dürfe er im Dorf bleiben, wolle er allerdings kürzer als einen Monat verweilen, müsse er bedenken, daß er den Häuptling beleidige. Alverdes sah seine Sache gedeihen. Er hatte Zeit. Er ließ sich verwöhnen, alles schmeckte ihm, und als er, umringt von Frauen, Männern und Kindern, sich über das Loch im Boden beugte, um den ersten Schluck Bananenbier zu nehmen – eine Ehre! –, war nicht einmal ein Gedanke an Ekel in ihm, und das, obwohl der Gärschaum, der aus der Öffnung quoll, schwarz vor Schmeißfliegen war und er selbst ja zugesehen hatte, wie in den Tagen davor zahnlose Weiber das Fruchtfleisch gekaut und viertelstundenlang im Mund zermanscht hatten, bevor sie es in das Loch im Boden spuckten. Er absolvierte Ausritte in die Gegend. Manchmal begleitete ihn Samuel dabei, sie unterhielten sich, und Alverdes erzählte von seiner Heimat, was sich in den wenigen Worten, die er beherrschte, fassen ließ, und die beiden vereinbarten, bei der nächsten Gelegenheit gemeinsam nach Deutschland reisen – das ja nun auch Samuel Mahereros Heimat war. Meistens aber war Alverdes allein unterwegs. Angst hatte er nicht. Sein Gewehr hatte er bei sich.
Einmal rastete er zu Mittag bei einem Brunnen. Er breitete seine Decke über die harten, ausgedörrten Zweige eines wilden Rosenbusches. Das war ihm ein Schirm gegen die Sonne. Sein Pferd sattelte er ab und ließ es frei grasen. Er war nicht weit vom Dorf entfernt. Er hatte keinen Plan für den Tag. Die Luft, konnte man meinen, habe die gleiche Temperatur wie das Blut im Körper. Er hatte Dörrfleisch bei sich, Fladenbrot, einen kleinen Glasballon mit Kognak, um daran zu lecken, und Wasser war leicht aus der Tiefe des Brunnens zu schöpfen. Er sah einen Mann durch das schüttere Gras kommen, ein alter Neger, der nichts weiter an sich trug als den üblichen Lederlatz. Er zog einen Wasserschlauch hinter sich her. Der Schlauch war aus dem Fell einer Ziege gefertigt und hatte die Form einer Ziege, nur ohne Kopf und mit Stummeln von Beinen. Der Mann kannte Alverdes wohl, er blieb stehen, entblößte lachend seine Zähne und hob die freie Hand. Alverdes grüßte zurück. Er sah zu, wie der Mann den Schlauch an einem Seil in den Brunnen warf. Immer wieder blickte er zu Alverdes herüber, lachte, hob die Hand. Und Alverdes lachte auch und hob ebenfalls die Hand. Und weil das Gewehr neben ihm lag, zielte er und erschoß den Alten. Das Pferd war bei dem trockenen Knall zusammengezuckt, aber es scheute nicht, und gleich zupfte es
Weitere Kostenlose Bücher