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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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jeden Schutzes durch das Reich gewesen. Bismarck im fernen Berlin hatte sich heftig gegen die Forderungen der deutschen Handelskammern gewehrt, die in Afrika geregelte Handelskolonien errichten wollten. Er hatte nicht an eine Realisierung von Profiten irgendwelcher Art, die aus diesem Stück Erde gewonnen werden könnten, geglaubt. Nur um einem deutschen Minderwertigkeitsgefühl entgegenzusteuern (war auf Kaiser Wilhelm II. gemünzt), rentierten sich Investitionen und Verwaltungsaufwand nicht, war seine Rede gewesen. Jeder Mann, der diesen Kontinent kannte, wußte, daß die Portugiesen und Belgier im Norden und die Engländer und Holländer im Süden die in jeder Hinsicht profitabelsten Ländereien bereits unter sich aufgeteilt hatten. Die noch freien Streifen dazwischen bestanden zum größten Teil aus Wüste. – Erst nach Bismarcks Entlassung waren den Weltmachtsgelüsten des Kaisers die Zügel genommen. Dieser Teil Afrikas wurde ein Teil des Deutschen Reiches.
    Wenige Monate nach diesem Gespräch wurde der »Direktor« entlassen. Der neue Landeshauptmann, wie der Reichskommissar nun genannt wurde, war Major Leutwein. Die Gebäude der deutschen Kolonialgesellschaft in Angra Pequena fand er »unmöglich«, er verlegte sein Quartier weiter ins Landesinnere nach Otjimbingwe. Dort mietete er von der Rheinischen Mission deren Augustineum als Büro. Er errichtete die erste deutsche Militärstation.
    Hanns Alverdes wurde seine rechte Hand. Leutwein gefielen die Ansichten dieses jungen Mannes, seine Art: Enthusiasmus gepaart mit Gelassenheit – einer Gelassenheit, die manchmal sogar Züge von Gleichgültigkeit und Phlegma zeigte, so als setzte er in jugendlichem Feuer Taten, interessiere sich aber nicht für die Folgen.
    Die praktischen Fähigkeiten von Hanns Alverdes lernte Leutwein bei einer Inspektionsreise in den Süden des Landes kennen. Bei Osona gerieten sie – Leutwein, sein Sekretär Nels, Alverdes und der Polizeimeister von Goldammer – in eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Eingeborenenstämmen. Der Landeshauptmann und seine Männer warteten zu Pferd abseits des Feldes, nur symbolisch Deckung nehmend hinter einigen mageren Bäumchen, bei ihnen Alverdes. Nels und von Goldammer drängten darauf zu verschwinden, bevor sie entdeckt würden. Die beiden waren überzeugt, die halbnackten schwarzen Männer, die dort unten mit Speeren und Knüppeln aufeinander losgingen, würden sich sofort einig sein und sich zusammentun, wenn sie Weiße sähen.
    Alverdes dagegen riet Leutwein abzusteigen, aus dem Schatten der Bäume zu treten, sich frei drei Schritte neben die Pferde zu stellen, die Arme zu verschränken, sich zu zeigen und zu warten. »Wir werden Vorteil daraus ziehen«, sagte er und ritt mit erhobenen Armen und laut rufend hinunter in die Senke, auf das staubige Durcheinander zu.
    Die drei Deutschen oben auf dem Hügel, die sich abwechselnd das Fernglas reichten, sahen, wie ihr Landsmann in dem hellen Khakianzug mit den pfauenfedergeschmückten Häuptlingen verhandelte. Sie sahen, wie sich die Krieger nach verschiedenen Seiten zurückzogen. Und sie sahen, wie Alverdes mit den beiden Häuptlingen, die links und rechts von seinem Pferd gingen – während er ritt! –, den Hügel heraufkam. »Ein gutes Geschäft!« hörten sie ihn rufen. »Ein gutes Geschäft!«
    Das Geschäft, das Alverdes den Häuptlingen Maherero vom Stamm der Herero und Hendrik Witbooi, dem »Kapitän« der Nama, vorgeschlagen hatte, war von verblüffend kindlicher Einfachheit: Die Deutschen würden Sorge tragen, daß alle Verletzten des Gefechts wieder gesund und stark würden; dafür sollten die Häuptlinge versprechen, für die Zeit der Genesung Frieden zu halten. Und ebenso habe es bei allen weiteren Konflikten zu geschehen.
    »Und was schaut für das Deutsche Reich dabei heraus?« fragte Leutwein.
    Das schaute dabei heraus: Witbooi, der Angreifer, versprach am selben Abend (tatsächlich am Lagerfeuer) feierlich, in alle Zukunft deutsche Staatsangehörige unbehelligt durch sein Land ziehen zu lassen. Maherero unterzeichnete sogar einen Vertrag mit dem Deutschen Reich. Darin verpflichteten sich die Herero, keinem Angehörigen einer anderen Nation größere Rechte und Vergünstigungen zu gewähren als den Deutschen. Auf alle Waren sollten die Herero deutschen Händlern Option geben. (»Auch Land ist Ware!« – fügte Leutwein dem ansonsten von Alverdes verfaßten Text hinzu.) Das Deutsche Reich werde sich im Gegenzug auch im

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