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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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unmöglich, aus einem Mädchen etwas werden zu lassen, was man mit der Stellung eines Mannes vergleichen konnte. Und erst mit der Stellung eines Mannes wie Joaquim Armando Durao! Er wollte, daß ich so werde wie er! Das hat er dem Heiligen in die Augen hinein versprochen! Das war in diesem Land zu dieser Zeit so aufrührerisch, daß man ihn auf der Stelle hätte festnehmen und bis an sein Lebensende einsperren müssen!«
    Joaquim Armando Durao war ein bemerkenswerter Mann, und er hatte im Laufe seines Lebens bemerkenswerte Wandlungen durchlaufen. In seiner Jugend war er liberaler Monarchist gewesen. Er gründete in Coimbra eine Tageszeitung, ein paar Jahre später erwarb er die Lizenz für eine zweite dazu, ebenfalls in Coimbra. Er übersiedelte zusammen mit seiner Frau nach Lissabon und kaufte Anteile an drei großen Zeitungen der Stadt, zudem gründete er Blätter in Porto, Braga, Aveiro und Guarda. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts war er einer der reichsten Männer des Landes – ein »lusitanischer Citizen Kane«, wie Carl sagte. Er stiftete einen großen Teil seines Vermögens der Universität seiner Heimatstadt Coimbra für den Aufbau eines modernen wirtschaftswissenschaftlichen Instituts. Die erste radikale Wendung in seinen politischen Anschauungen vollzog er, als König Carlos I. im Jahr 1907 einen gewissen João Franco mit der Bildung einer Regierung beauftragte, der, ohne zu säumen, das Parlament abschaffte und unter dem Schutz der Bajonette und dem Jubel der katholischen Kirche die Diktatur ausrief. Da stellte Herr Durao seine Zeitungen in den Dienst der jungen republikanischen Sache. – »Von einem Monat auf den anderen«, erzählte Margarida, »wurde aus einem Monarchisten ein Republikaner, aus einem Kirchgänger ein Bilderstürmer.« – Die Republikaner erwiesen sich als nicht weniger unfähig als die Monarchisten; eine Regierung löste die andere ab, das Defizit des Staatshaushalts wuchs weiter, England, sonst immer treuer Freund der Portugiesen, feilschte unverhohlen mit Deutschland, wer nach einem abermaligen Staatsbankrott die portugiesischen Kolonien in Afrika und Südostasien kassieren sollte. Aber dann geschah etwas, was die Glocken und die Herzen im ganzen Land zum Schlagen brachte und das Herrn Durao in wenigen Tagen in den inbrünstigen Katholiken verwandelte, als den ihn seine Tochter in Erinnerung hatte: Am 13. Mai 1917 – ein Jahr nach Margaridas Geburt – erschien die Heilige Jungfrau Maria drei Kindern in der Cova da Iria, in der Nähe des Dorfes Fatima. Noch ehe über die religiöse Bedeutung dieses Wunders diskutiert wurde, reklamierten es die antirepublikanischen Kräfte politisch für sich – die Heilige Jungfrau, so hieß es, habe in erster Linie nicht ein allgemeines Zeichen für die allgemeine Menschheit setzen wollen, sondern einen Akt der Parteinahme wider die republikanische Regierung in Portugal. Joaquim Armando Durao wandte sich vom Republikanismus ab und wurde ein strenger Konservativer – und benötigte für diese Metamorphose wieder nur wenige Tage. Nach dem Tod seiner Frau kehrte er mit seiner kleinen Tochter nach Coimbra zurück, wo sie in dem prachtvollen Haus in der Rua Ferreira Borges in der Nähe der Torre de Almedina zwei Stockwerke mit insgesamt zwölf Zimmern bewohnten. Der Vater führte von nun an ein stilles Leben abseits der Tagespolitik. Was nicht hieß, daß er nicht an »der Politik im großen« teilnahm. Margarida erinnerte sich, daß ein Mann des öfteren im Haus ihres Vaters zu Besuch war, ein Professor der Nationalökonomie, der zu dieser Zeit den Lehrstuhl, der von ihrem Vater gestiftet worden war, innehatte. Der Mann war wortkarg, unfröhlich, bescheiden, und er hatte keinen Blick für ein Schulkind, wie aufgeweckt es auch immer sein mochte, zumal es sich um ein Mädchen handelte. Meist kam er in Begleitung von Studenten und Angehörigen des akademischen Mittelbaus, die ihm samt und sonders in Bewunderung ergeben waren, einige schienen ihn wie einen Propheten zu verehren. Zu ihrem siebten Geburtstag schenkte er Margarida eine Halskette mit einem goldenen Kreuz, das Lucia de Jesus, die älteste der drei Fatimakinder, geküßt und gesegnet hatte. Als Mitte der zwanziger Jahre die Republik durch einen Militärputsch abgeschafft wurde, ernannte die neue Regierung diesen Mann zum Wirtschafts- und Finanzminister, später wurde er Staatspräsident und schließlich Diktator. Sein Name: António de Oliveira Salazar. Er blieb an der Macht sechsunddreißig

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