Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
über Nacht. Sie wollte nicht, daß er zu ihr in die Wohnung komme. Deshalb war sie die meiste Zeit bei ihm. Bald lebten sie zusammen wie ein Paar. Vor Daniels Freunden verheimlichten sie, daß Margarida verheiratet war. Unter seinen Freunden war eine Frau, die einer Widerstandsgruppe angehörte. Margarida schloß sich dieser Gruppe an. Den Genossen verheimlichte sie, daß ihr Vater Joaquim Armando Durao war, weil jeder wußte, daß der in seinen Zeitungen Salazars Sache von Anfang an befördert hatte. »Mehr als diskutiert haben wir nicht. Einmal haben wir einen Packen Flugschriften gedruckt und an einer zugigen Ecke der Praça do Comércio abgelegt und haben uns im nächsten Eingang versteckt und zugesehen, wie die Blätter vom Wind über den Platz verstreut wurden. Die Leute hoben sie auf, aber als sie die Überschrift lasen, warfen sie sie schnell weg. Nur ein Wort hatte auf dem Blatt gestanden: Tarrafal .« Das war der Name des Lagers auf einer der Kapverden-Inseln, wohin die Feinde des Staates gebracht wurden.
    Ein Brief von Carl aus Amerika kam an. Er lebte in New Mexico und wollte, daß sie zu ihm komme. Sie zögerte nicht einen Augenblick. Sie löste erneut die Verbindung zu Daniel, fuhr zu Carl und erzählte ihm alles.
    »Er reagierte sehr still darauf. Er fragte, was weiter daraus werde. Ich sagte, daß nichts weiter daraus werde. Damit war es gut.«
    Nach der Kapitulation Japans flog Carl nach Tokio. Er gehörte einem Team an, das die Auswirkungen der Bombardements kartographierte. Margarida kehrte nach Lissabon zurück. Daniel besuchte sie nicht. Carls Aufenthalt in Japan dauerte nur zwei Monate. Er wollte in Wien nach seiner Mutter sehen, nach seiner Großmutter, seinem Großvater, seiner Schwester.
    »Ich schrieb ihm, er solle schnell wieder nach Lissabon kommen. Wien war zerstört, hieß es. Er hatte von seiner Familie nichts mehr gehört, seit er interniert worden war. Er rechnete mit dem Schlimmsten, und er ist einer, der mit sich allein sein muß, wenn ihn das Unglück erreicht.«
    Carl schrieb Briefe aus Wien, schrieb, er wisse noch nicht, was er vorhabe. Margarida war wieder allein. Sie besuchte Daniel, und sie lebten wieder zusammen wie Mann und Frau. Daniel fragte nicht, ob sie sich von Carl scheiden lassen und ihn heiraten wolle. Über ihre Ehe sprachen sie nicht. Carl schrieb, er habe sich entschieden, in Wien zu bleiben. Eine Stelle an der Universität war ihm angeboten worden. Er bat sie zu kommen. Wieder zögerte Margarida keinen Augenblick. Sie setzte sich in den Zug.
    »Ich habe ihm wieder alles erzählt. Er sagte, er sei mit der Scheidung einverstanden, wenn ich sie wünschte. Aber ich wünschte keine Scheidung. Nicht ein Gedanke daran. Das konnte er nicht verstehen. Und ich habe es eigentlich auch nicht verstanden. Warum fängst du immer wieder etwas mit ihm an, fragte er, wenn du nicht einmal einen Gedanken daran hast, es fortzuführen. Er hatte recht. Carl ist Daniel nie begegnet. Er kannte ihn nicht. Und er wollte auch nicht, daß ich von ihm erzähle. Wenn wir drei zur selben Zeit in einem Zimmer gewesen wären und Carl hätte mir die gleiche Frage gestellt, ob ich mich scheiden lassen will, wäre mir die Antwort nicht so leicht gefallen, das weiß ich. Aber wir waren nie gleichzeitig zu dritt in einem Zimmer.«
    Margarida und Carl bezogen eine Wohnung in dem Haus am Rudolfsplatz und richteten sich modern ein. Als das Leben leichter zu werden begann, fuhren sie in den Sommersemesterferien nach Lissabon, verbrachten ein, zwei Monate in der Stadt oder in Coimbra im Haus ihres Vaters, das sie sich mit ihren Geschwistern teilte, oder nach Ericeira ans Meer, wo sie ein Ferienhäuschen besaßen.
    Nach zehn Jahren traf sie Daniel zufällig auf der Straße. Er war gerade im Begriff in den Elevador de Santa Justa zu steigen. Er war zusammen mit einer Frau, die trug eine amerikanische Brille und wirkte sehr chic. Er stellte sie Margarida als seine Frau vor. Er erzählte, daß er eine gute Arbeit habe, in der Verwaltung des bakteriologischen Instituts. Sie gaben einander die Hand und verabschiedeten sich wie für immer. Am nächsten Tag wartete sie am Abend vor dem Eingang des Verwaltungsgebäudes in der Travessa do Torel auf ihn. Sie gingen in ein Hotel. Während dieses Sommers trafen sie sich noch mehrere Male. Immer im gleichen Hotel. Diesmal erzählte sie Carl nichts davon. Im September flogen sie und Carl nach Wien zurück.
    Bald darauf bekam Carl seine Professur in Innsbruck. Margarida

Weitere Kostenlose Bücher