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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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Katzen des Dorfes versammelt, die meinem Fahrrad – eine hinter der anderen – bis auf den Hof folgten, wo sie dann im Halbkreis um mich herum saßen und auf die kleinen Fische warteten, die ich ihnen zuwarf. Wenn die Fütterung zuende war, verschwanden sie lautlos in verschiedene Richtungen. Diese Speisung der Dorfkatzen hatte schon den Charakter eines Rituals angenommen.
    Die großen Fische verteilte ich an die alten Frauen und Männer im Dorf, deren Rente gerade für das Nötigste reichte. Dafür fand ich als Gegengabe hin und wieder auf meinem sechseckigen weißen Küchentisch – auch ein Abgang aus dem Schloss – Kartoffeln, Gemüse, Äpfel, Speck, Eier oder auch ein Glas mit hausgemachter Wurst. Die Spender blieben meist anonym. Und an diesem Wochenende wollte ich wieder auf den See, diesmal um Hechte zu fangen.
    »Am Kreuz?« Ich sah Gottfried fragend an. Der nickte: »Am Ufer da hinten in der Ecke des Sees steht ein großes steinernes Kreuz, was durch die dichten Erlen kaum noch zu sehen ist, soll an die junge Gräfin erinnern, die da ins Wasser gegangen ist.«
    Der Landarzt hatte mir erzählt, dass tief verzweifelte Dorfbewohner noch immer auf zweierlei Art Selbstmord verübten: Die Männer hängten sich auf, die Frauen gingen ins Wasser. Aber warum hatte die Gräfin beschlossen, so melodramatisch aus dem Leben zu scheiden?
    »Dat hat sie sich nich gerade ausgesucht, dat haben andere für sie entschieden«, erklärte Gottfried mit einem geheimnisvollen Blick, der mein Interesse erregen sollte. Natürlich sah er, dass er meine Neugier geweckt hatte, also legte er seine Maurerkelle sorgfältig beiseite, stieg vom Gerüst und zündete sich bedächtig seinen Stumpen an. Er betrachtete aufmerksam die weißglühende Asche und fuhr dann langsam fort: »War so´ne Art Ehrengericht gewesen, die Herrschaften waren doch alle in so ´nem Geheimbund mit strengen Regeln. Die Gräfin soll ja ´ne sehr hübsche junge Frau gewesen sein, hieß es, bloß der Graf, der was ihr Mann war, der hätte wohl eher ihr Vater sein können. Und wenn so ´ne junge Frau von ihrem Mann nich kriegt, wat sie braucht – ob der nun Graf is oder nich – dann holt sie sich´s eben woanders.« Gottfried machte eine Pause und sah mir bedeutungsvoll ins Gesicht. Dann zog er so heftig an seinem Stumpen, dass die Asche hell aufglühte und fuhr fort: »Na ja, und da hat sie eben, so hieß es damals, mit so ´nem gut aussehenden Forsteleven wat angefangen. Der soll ganz schön wat jünger gewesen sein.« Gottfried machte erneut eine Pause und sog wieder an seiner kurzen Zigarre. »Kannst dir ja vorstellen, dass dat bald im Dorf und auch im Schloss rum war. Und da sollen die dann von ihr verlangt haben, die Konsequenzen zu ziehen. Und zu der Zeit konnte die sich nicht einfach scheiden lassen, die musste den Weg der Ehre gehen, so hat´s mir jedenfalls mein Vater erzählt.«
    Als Gottfried merkte, dass ich ihm ins Wort fallen wollte, hob er die Hand. »Wart´s ab, es kommt noch dicker. Die hatten wohl gehofft, dat sie es im stillen Kämmerlein, im Schloss macht und nich runter zum See geht, da wo sie sich immer mit ihrem Liebsten getroffen hatte. Damit hatte der alte von Ottenstedt nich gerechnet, und plötzlich hatte er ein Problem, denn bei ´nem Selbstmord so im Freien hätte es zu viele Fragen gegeben und dem Ruf der gräflichen Familie geschadet. Vielleicht hätte es sogar eine kriminale Untersuchung gegeben. Also schickte der Gutsverwalter klammheimlich ein paar Leute los, die Gnädige Frau zu suchen.
    Einen Tag später hat ein Stallknecht dann die Tote gefunden und sie in aller Heimlichkeit aus dem See gefischt. Dann sind noch am selben Abend zwei Leute vom Schloss mit dem Kutscher zum Ufer runter gefahren und haben die kalkweiße Wasserleiche, aufrecht in die offene Kutsche gesetzt, und die Diener haben sie von beiden Seiten gestützt, damit sie nich umfiel. Sie hatten ihr so ein ganz teures goldenes Brokattuch umgehängt. Und weil sich die Abendsonne auf dem Goldtuch gespiegelt hat, hätte das blasse Gesicht der Gräfin richtig geleuchtet, hat mein Vater gesagt. Dann sind sie für alle sichtbar langsam die Dorfstraße runter gefahren bis zum Schloss, und da ist die arme Gräfin dann zwei Tage später überraschend an einer schweren Krankheit verstorben. Wer im Schloss an die Geschichte nich glauben wollte oder was anderes erzählte, der konnte seine Papiere nehmen.
    Der Kutscher, der Stallknecht und die beiden Leichenfahrer mussten dem

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