Abgang ist allerwärts
alten Grafen auf die Bibel schwören zu schweigen wie ein Grab, und dafür hat er ihnen – erzählte mir mein Vater – einen ziemlichen Batzen bezahlt, so hieß es jedenfalls. Der Forsteleve hat kurz danach so einen Jagdunfall gehabt, is im Wald angeschossen worden, mitten zwischen die Beine, na, du weißt schon, wo, und dann is er in Stettin ins Gefängnis gekommen, angeblich wegen Wilddieberei. Die Ehre des alten von Ottenstedt war jedenfalls wieder hergestellt und es hat dann ja auch ein ordentliches christliches Begräbnis für die bedauernswerte junge Gräfin gegeben.«
»Aber wenn alles vertuscht wurde, warum dann das Kreuz am See, das ergibt doch keinen Sinn«, wandte ich ein. Gottfried war am Ende seiner Zigarre angelangt und nickte zustimmend.
»Das mit dem Kreuz wurde ja auch erst später, nach dem Tod des Alten von seinem Sohn angeordnet. Der war viel moderner, der hatte noch während des Krieges ´ne schwedische Filmschauspielerin geheiratet. Wir Kinder konnten den alle gut leiden, den Fiffijens. Der is nach dem Krieg ja dann rübergemacht in den Westen, was sollte er auch noch hier, wo ihm doch nischt mehr gehörte. Jetzt weißt du jedenfalls, warum es am Kreuz heißt, und die alte Handel schwört, dass dat mit den Hechten da irgendwie mit der toten Gräfin zu tun hat. Dat kannst du glauben oder nich, aber wenn du einen kapitalen Burschen fängst, kannst du dich ja bei der Gräfin bedanken. In manchen Vollmondnächten spukt sie übrigens in der alten Ulme am Dorfausgang, gleich hinter deinem Haus, und sie hat immer noch das weiße Kleid an, in dem sie sich damals ersäuft hat. Mein Vater hat sie mal gesehen, und kurz darauf hat er am Kreuz den größten Hecht in seinem Leben gefangen, über zwölf Kilo…«
Gottfried nickte mir mit ernstem Gesicht zu, nahm seine Maurerkelle in die Hand und kletterte wieder auf das schwankende Gerüst.
Das war sie also die Geschichte von der toten Gräfin, die unter dem Sternzeichen der Fische geboren worden war, im See wegen einer Affäre und strenger Geheimbundregeln Selbstmord verübt hatte und nun das Anglerglück der Dorfbewohner lenkte.
Ich fand das Ganze ziemlich verrückt, trotzdem wünschte ich mir, dass auch ich der jungen schönen Frau im weißen Kleid einmal begegnen würde. Vielleicht war es schon passiert und ich hatte es nur nicht bemerkt, denn schließlich hatte ich vor zwei Wochen mit großem Abstand das Wettangeln gewonnen.
Irritiert stellte ich fest, dass ich bereits anfing, wie die Dorfbewohner zu denken.
»Ich könnte mich ja auch bei Fiffijens bedanken, denn der hat ja schließlich für das Kreuz gesorgt.« Ich blieb bei der Aussprache »Fiffijens«, weil alle im Dorf ihn so nannten, obwohl ich vor kurzem auf einer vergilbten Seite im Kirchenregister des Nachbardorfes gelesen hatte, dass der letzte regierende Graf auf den Namen Vivien getauft worden war.
VI.
W ährend das Leben auf dem Dorf seinen gewohnten Gang ging, kam die Künstlerszene in den Städten seit der Ausbürgerung des Liedermachers nicht mehr zur Ruhe. Drei Jahre danach waren neun Kollegen in einer Art Schauprozess aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen worden, dem Verband, der mich gerade aufgenommen hatte. An den neun sollte ein Exempel statuiert werden, was es bedeutete, wenn man sich dem vorgeschriebenen Gleichschritt verweigerte, und den Protest dagegen sogar im Westen veröffentlichte. Die Regierenden des Landes wünschten von den privilegierten Schriftstellern einen fehlerlosen Chorgesang zum Lob des realen Sozialismus. Wer sich daran nicht hielt, den hatten sie schnell auf dem Kieker. Auf der nicht öffentlichen Versammlung hatte dann auch die Mehrheit der ins Rote Rathaus Berlins geladenen Autoren – wie gewünscht - für den Ausschluss der Aufsässigen gestimmt, und ich war beschämt gewesen, dass es nur so ein kleines Häufchen war, das die Hand dagegen erhoben hatte. Die meisten der so Verfemten verließen nach und nach das Land in Richtung Westen, dahin, wo ihre Auftraggeber sitzen hieß es im Verband und in der Presse. So einfach wurde der Exodus von Künstlern abgehakt, die die staatliche Bevormundung und die Zensur der Kunstverweser nicht länger hinnehmen wollten und dies in einem Medium des Klassenfeinds öffentlich gemacht hatten. Ich sah meine Situation zu der Zeit noch in rosigem Licht, trotz der Querelen mit dem Fernsehen hatte die öffentliche Beachtung meiner Arbeiten sichtbar zugenommen. Texte von mir waren gedruckt, gespielt und gesendet
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