Abgang ist allerwärts
ärgerte Angélique am meisten.
Sie goss sich ihr Glas wieder randvoll und schlug dann mit der Faust auf den Tisch: »Mensch! Trau dich doch mal was, Elias! Sag, dass er ein Arschloch ist oder dass ich eins bin! Elias hat den Himmelswagen gelenkt und du, du klebst immer bloß am Boden!« Ich hob die Hand, als wollte ich Einspruch erheben, dann stand ich vorsichtig auf, stieg auf meinen Stuhl und von da auf unseren Tisch. Angélique hatte hastig die halbvolle Rotweinflasche in Sicherheit gebracht.
»Musik!«, rief ich Wolfgang, der hinter seinem Tresen stand, mit schwerer Zunge zu. Der starrte mich ungläubig an, drehte sich dann wie mechanisch zu seiner Musikanlage um und drückte auf den Knopf für die Kassetten. Sofort dröhnte ABBA durch den Schankraum T hank you for the music, the songs I´m singing. Thanks for all the joy they´re bringing … Ich stand schwankend auf dem Tisch und forderte Angélique auf, ebenfalls nach oben zu kommen. Sie stieg auf ihren Stuhl, wehrte unwirsch alle Hände ab, die ihr hinauf helfen wollten und stand mir im nächsten Augenblick gegenüber. Und dann tanzten wir. Erst noch vorsichtig, wie in Zeitlupe, dann, nach und nach wurden unsere Bewegungen immer hektischer. Alle anderen in der Kneipe sahen uns erst gebannt zu und dann schlugen sie mit ihren Biergläsern und Flaschen auf den Tischen den Takt. Als der Titel zuende war, johlten und pfiffen alle wie losgelassen. Wir kletterten keuchend und auf wackligen Beinen wieder hinunter. Ich war mehr außer Atem als Angélique, sagte aber grinsend in schleppendem Tonfall: »Na, hab ich mich jetzt was getraut oder kleb ich immer noch am Boden?«
Sie winkte ab: »Hier im Dorf auf dem Tisch rumzuhopsen, heißt gar nichts, wenn du dich nicht auch woanders traust, aus der Reihe zu tanzen. Du könntest viel sympathischer sein, wenn du nicht immer den braven Jungen spielen würdest. Du bist viel zu ängstlich für diese Welt, Elias!«
Ich hatte resigniert genickt und dann gesagt, dass ich für heute genug hätte.
»Mir reicht´s auch.« Angelique schnappte sich die halbvolle Rotweinflasche und ging schwankend aus der Kneipe. Ich hörte, wie sie draußen in ihr Auto stieg, den Motor aufheulen ließ und mit quietschenden Reifen losfuhr.
Ich bezahlte und stellte fest, dass mich die anderen in der Kneipe immer noch ansahen, als könnten sie nicht glauben, was sich da eben vor ihren Augen abgespielt hatte. War ich dadurch in ihrer Achtung gestiegen oder hielten sie mich jetzt nur für einen abgefahrenen, verrückten Typen, den schon eine Flasche Rotwein umwarf? Und hatten sie Angéliques Bemerkung von dem braven Jungen, der viel zu ängstlich sei mitbekommen? Und wenn schon. An diesem Abend war es mir scheißegal, was sie von mir dachten.
Am nächsten Morgen kehrte die Erinnerung nur langsam zurück, und was mich am meisten verwunderte, war die Tatsache, dass weder Angélique noch ich während unseres wilden Tischtanzes auf dem Boden der Kneipe gelandet waren.
VII.
M ein Tanz mit Angélique auf dem Tisch blieb ohne nennenswerte Folgen, obwohl ich sicher war, dass die Geschichte längst die Runde gemacht und dabei auch die Nachbardörfer erreicht hatte. Wer sein Geld mit Geschichtenschreiben verdiente, durfte schon etwas verrückt sein. Und außerdem hatte ich wahrscheinlich auch nur vor der scharf aussehenden Journalistin aus dem Nachbardorf angeben wollen, das verstanden vor allem die Männer sehr gut.
Als ich einige Tage später aber in den kleinen Laden im Schloss trat, um etwas einzukaufen, musterten die anwesenden Frauen mich mit neugierigen Blicken und ich konnte spüren, dass sie sich vorstellten, wie es wohl ausgesehen hatte, als ich mit der Verrückten aus der Stadt… In ihrem Dorf gab es nur eine Frau, die auf dem Tisch tanzte, sogar nackt, wenn man den Gerüchten glauben wollte. Aber vielleicht war das auch nur die geile Phantasie der Männer. Wenn mit den Frauen im eigenen Bett nichts mehr los war, musste man sich eben an solche Geschichten klammern.
Ich hatte Angélique danach einige Wochen nicht mehr gesehen. Sie war überraschend in die Stadt zurückgekehrt und recherchierte eine Umweltschweinerei.
Inzwischen hatte ich erfahren, dass ein drittes Theater eines meiner Stücke zur Uraufführung angenommen hatte, und dass ich dafür ein ansehnliches Optionshonorar erhalten sollte. Also war die Finanzierung des weiteren Hausausbaus erst einmal gesichert. In der Kreisstadt hatte ich mir besonders teure Farbe besorgt, die sonst nur
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