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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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doppelt so groß und die Heckensträucher, die mir einst bis zum Knie reichten, als ich sie pflanzte, maßen jetzt über zwei Meter, eine grüne Blätterwand, die jeden Blick auf die Wiese neben dem Haus verwehrte. Alles wirkte immer noch vertraut und dennoch hätte ich mir nicht vorstellen können, jemals wieder hier zu wohnen. Ich wendete mich ab und ging langsam wieder zurück zur Mitte des Dorfes. Auf dem Weg dorthin begegnete mir Joneleits Frau, deren Haare schneeweiß geworden waren. Ich sah hinüber zu dem verwitterten Haus, das einmal die Kneipe gewesen war. Würde ihr Mann in dem nun kneipenlosen Dorf sein Bier und seinen Schnaps jetzt Abend für Abend zu Hause trinken? Falls er überhaupt noch lebte. Sie musterte mich kurz mit einem unruhigen Blick und grüßte mich dann wie einen Fremden. Dann entdeckte ich gemalte weiße Band über der Eingangstür mit der Aufschrift de Kneip ´. Es war verwaschen und kaum noch zu lesen. Die sechseckige Lampe hing allerdings immer noch über dem Eingang. Eines der gelben Gläser war zerbrochen. Die Fensterscheiben waren offenbar eine Ewigkeit nicht geputzt worden, und eine hatte bereits einen Sprung. Ich beugte mich vor und versuchte im Inneren etwas erkennen zu. können, was nicht einfach war, weil der ehemalige Schankraum im Halbdunkel lag.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine raue Stimme in meinem Rücken. Ich drehte mich erschrocken um und da stand er, ein paar Falten mehr im Gesicht, die Haare etwas grauer und dünner, aber sonst noch so, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
    »Rudi!« Ich ging erfreut auf ihn zu und reichte ihm die Hand, die der Angeredete zögernd nahm. Dann blickte er mich lange forschend an. Es war zu sehen, dass er versuchte, sich zu erinnern. Endlich wusste er, wo er mich hin stecken sollte.
    »Du?«, fragte er erstaunt. »Ich dachte schon, du würdest nie mehr hierher zurückfinden.« Er fuhr mit der Hand über seine Haare, um den Scheitel wieder sichtbar zu machen. Dann sah er mich genauer an: »Grau bist du geworden, na ja, wir werden alle nich jünger.«
    »Hier ist wohl für immer Feierabend?« Ich deutete mit dem Daumen auf das tote Haus hinter uns.
    »Die meisten von denen, die hier immer saßen, findest du inzwischen auf der anderen Seite.« Rudi zeigte auf den gegenüberliegenden Kirchhof. »Und nich nur die Alten. Scheißsauferei. Der Schnaps is uns geblieben, auch wenn er jetzt anders heißt.« Er nickte, als wollte er das eben Gesagte noch einmal bestätigen. »Bist wegen deinem Haus gekommen?« Seine müden Augen musterten mich. »Nicht wirklich. Ich hatte einfach Sehnsucht nach Hohenfeld«, versuchte ich einen Witz zu machen.
    »Dafür hast du´s ja lange ausgehalten. Wirst nich mehr viel wieder erkennen.«
    Ohne Eile gingen wir im Schatten der Kastanien die sonnige Straße mit dem holprigen Pflaster entlang.
    »Wie geht es Agnes?«
    Rudi blieb stehen und sagte leise: »Die liegt jetzt auch da drüben, zwischen all den anderen. Der Krebs hat sie geholt, schon vor vier Jahren. Sie hat sich schwer getan mit dem Sterben. Wollte einfach nich gehen.« Er strich sich mit dem Handrücken über die Augen.
    »Und deine Kinder?«
    Rudi zuckte die Schultern. »Sind fast alle im Westen, da, wo es Arbeit gibt. Bremen, Braunschweig, sogar in Bayern. Ich sag dir, es is schon eine verkehrte Welt: Die Jungen von hier sind drüben und die von drüben kommen hier her und kaufen sich die leer stehenden Häuser. Der Jüngste hat ´ne Frau aus Bremerhaven, kommt bloß noch selten her, das hätt´ ich mir auch nie träumen lassen.«
    Wir waren am Dorfplatz angelangt, und ich deutete auf die neu errichtete Mauer.
    »Wer hat denn dieses monströse Ding da hingestellt?«
    Rudi zuckte die Achseln » Wie ich gesagt hab: die einen gehen, die andern kommen. Wir haben jetzt einen neuen Gutsherrn, auch aus dem Westen, so einen Bankheini aus Lübeck. Hat das Schloss und den Park gekauft, sogar ein Stück vom Wald. Nur der See gehört jetzt dem Fischer. Die Gemeinde hat´s ihm fast hinterher geschmissen. Vor über hundert Jahren hätte hier schon mal ´ne Mauer gestanden, hat der Herr aus Lübeck behauptet. Mit uns will der nichts zu tun haben. Den Weg durch den Schlosspark dürfen wir auch nich mehr benutzen, sogar die Leichenhalle is jetzt sein Privateigentum. Da liegen die Toten eben in der Kirche, bevor sie unter die Erde kommen. Auch meine Agnes war da drin vor dem Altar aufgebahrt, obwohl sie schon lange nichts mehr mit Gott zu tun haben wollte. Aber das

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