Abgang ist allerwärts
Spielregeln, auf die ich mich einlassen musste.
»Deine Freundin Angélique, wie du sie immer nennst, ist übrigens auch schon auf der anderen Seite. Ich hab´s von jemandem aus ihrem Dorf.« Deshalb war niemand ans Telefon gegangen, als ich sie angerufen hatte. Ich lächelte und gestand mir im Stillen ein, dass sie mir sogar hierbei wieder eine Nasenlänge voraus war. Wir würden uns also erst jenseits der Mauer wiedersehen.
Als Gisbert und ich uns Stunden später voneinander verabschiedeten, weinten wir beide und als wir es beim jeweils anderen bemerkten, hatten wir uns noch einmal verlegen lachend umarmt. Hildegard war schon vorher heulend in die Küche verschwunden.
Ich stieg ins Auto und fuhr, den Krimsekt noch spürend, im Schutz der Dunkelheit in Richtung Hohenfeld. Die schwach beleuchtete Dorfstraße lag ruhig da, wie immer. Nur sah ich sie an diesem Abend mit anderen Augen. Die Lichter der Kneipe waren längst Erloschen. In fünf Stunden war für die meisten im Dorf die Nacht vorbei. Erschöpft fiel ich ins Bett und fühlte mich nach diesem geballten Tag wie zerschlagen. Und wenn ich an morgen dachte, fühlte ich mich noch elender.
Am anderen Tag stand ich schon früh auf, heizte die Öfen und den Kohleherd in der Küche und stellte mich erst dann unter die Dusche. Das Frühstück ließ ich ausfallen, mein Magen war wie zugeschnürt. Langsam ordnete ich meine Gedanken.
In den vergangenen Wochen und Monaten hatte ich oft darüber nachgedacht, wie der Abschied vom Dorf aussehen würde. Auf keinen Fall sollte es ein großer Bahnhof werden. Aber ich wollte mich auch nicht wie ein Dieb davonschleichen, von denen, die bis zum Schluss auf ihre eigenwillige Art zu mir gehalten hatten. Die Zukunft des Hauses hatte ich geklärt, es würde seine Bestimmung finden. Ich war aber nicht sicher, ob der Glückliche mein Geschenk überhaupt annehmen würde. Auch alle Möbel, ganz gleich, ob sie neu oder alt den Weg in mein Haus gefunden hatten, wollte ich nicht mitnehmen in das neue Leben. Sie gehörten hierher zu dem früheren Forsthaus, das nun wieder wie ehemals, weiß in die Landschaft leuchtete. Es war früher Vormittag. Rudi war bestimmt schon aus dem Stall zurück, und würde sich vor dem Fernsehapparat die Wiederholung des Abendprogramms vom Vortag ansehen und dabei wie so oft, eingeschlafen sein.
Auf dem Hof gegenüber fütterte Agnes die Hühner und Enten. Sie sah mir nur ins Gesicht, stellte die Schüssel mit dem Futter zur Seite und ging wortlos vor mir ins Haus. Drinnen saß Rudi wirklich vor dem Fernseher, es lief irgendein Schwank, man hörte das Gelächter des Publikums. Als Rudi uns bemerkte, schaltete er den Apparat aus, drückte mir die Hand und fragte Agnes gähnend, ob sie uns einen Kaffee machen könne. Ich lehnte dankend ab und bat Agnes, sich zu setzen. Dann zog ich das Schreiben, das ich in Berlin verfasst hatte, aus der Tasche, räusperte mich und sagte scheinbar gelassen: »Es ist soweit. Heute ist mein letzter Tag hier im Dorf und deshalb hab ich ein paar Zeilen aufgeschrieben, das Haus und alles, was dazugehört betreffend. Ich hab euren Namen eingetragen, ihr könnt es übernehmen. Wenn ihr´s nicht wollt, zerreißt den Brief, dann soll sich die Gemeinde oder sonst wer darum schlagen.« Rudi nahm den Brief mit zitternden Händen und Agnes lief aus dem Zimmer in die Küche. Rudi starrte immer noch wie benommen auf das weiße Kuvert.
»Tja, dann muss es wohl so sein. Fehlen wirst du uns…« Die Stimme versagte ihm. Jetzt war genau das eingetreten, wovor ich mich gefürchtet hatte. Ich spürte, wie meine Kehle immer enger wurde.
»Abgang ist allerwärts«, versuchte ich einen Witz zu machen, aber im gleichen Augenblick spürte ich, wie albern das klang. Kurzentschlossen stand ich auf.
»Tja, dann werd´ ich meine sieben Sachen packen, viel ist es ja nicht. Die Hausschlüssel leg ich dir auf den Küchentisch. Es ist vielleicht besser, wenn du heute Abend abschließt.« Rudi nickte.
»Wenn du Hilfe brauchst…« Seine von der Müdigkeit geröteten Augen, sahen mich an.
»…sag ich dir Bescheid.« Ich ging in die Küche, wo Agnes sich gerade in ein großes Schnupftuch schnäuzte. Sie stand auf, und ich umarmte sie lange, ohne ein Wort heraus zu bringen, dann verließ ich hastig die kleine Wohnung. Zurück im Haus, setzte ich mich ein letztes Mal an den kleinen, runden Tisch, der einmal von Erwins Vater aus dem Schloss gerettet worden war. Jetzt war dessen Schicksal wieder ungewiss. Genau
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