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Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Schmidt
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dürren Sprechstundenhilfe vorbei, direkt ins Sprechzimmer.
    »Moment mal, Sie können doch nicht einfach … « Sie rennt mir hinterher. Und ob ich kann. Roland begrüßt gerade eine Patientin, als ich ins Zimmer platze. Beide gucken mich erschrocken an. Ich wende mich direkt an die Patientin: »Tut mir leid, aber Ihr Termin ist leider verschoben. Kommen Sie morgen wieder. Oder besser: in vier Monaten! Ha!«
    Mit diesen Worten schiebe ich sie zur Tür, in der Miss Hautarztpraxis steht, die Roland fragend ansieht. Fast komme ich mir vor wie in der Desperate-Housewives -Szene, in der Gaby Solis ihren Mann Carlos mit der asiatischen Kinderfrau erwischt. Wie viel lieber wäre ich aus so einem Grund hier.
    Roland versucht die Situation zu retten, wirkt aber irgendwie armselig dabei: »Tut mir leid, Frau Weber. Es handelt sich hier um einen Notfall. Nehmen Sie doch bitte noch mal kurz im Wartezimmer Platz, ich hol Sie dann gleich wieder rein.« Frau Weber verlässt irritiert den Raum. Mit einem Kopfnicken schickt Roland dann auch Miss glatte Stirn aus dem Zimmer. Dafür bilden sich an seiner Stirn Falten, als die Tür geschlossen ist.
    »Jessica, was soll das?«
    Man merkt, dass er mich gerne anschreien würde, sein Berufsethos ihm das aber leider verbietet.
    »Was das soll?«, frage ich gereizt zurück und ziehe die Brille aus. »Mein Auge hängt bis zur Unterlippe. Da frag ich dich, was das soll!«
    »Jessi«, er spricht langsam und ruhig, so als ob ich ein bisschen schwer von Begriff wäre, »ich hab dir doch gesagt, dass das eine Zeit lang dauern kann. So eine Ptosis ist eben unberechenbar, das Ganze kann morgen verschwinden, aber auch erst in vier Wochen. Ich weiß es einfach nicht.«
    »Ich weiß es einfach nicht. Darin warst du immer groß!«
    »Bitte nicht die alten Geschichten jetzt!«
    »Dann tu irgendwas, damit es schneller weggeht. IRGENDWAS!«
    »Da kann man leider nicht viel tun.«
    »Was heißt nicht viel? Nicht viel ist mehr als nichts. Also … «
    »Jessi … die Chance ist wirklich gering, dass … «
    »WAS kann man tun? Los! WAS?« Er seufzt.
    »Die einzige Möglichkeit wäre ein durchblutungsförderndes Mittel, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das irgendetwas bewirkt, liegt bei nur etwa fünf Prozent.«
    »Fünf Prozent? Die Wahrscheinlichkeit, so ein widerliches Matschauge zu bekommen wie ich, liegt bei ein bis fünf Prozent, und jetzt schau mich bitte an … « Er guckt mir ins Gesicht.
    »Jessi ...«
    »Los. Wir versuchen das! Ich muss diese Lähmung loswerden, koste es, was es wolle.«
    Ich lasse mich in den Behandlungsstuhl fallen. Roland zögert noch.
    »Patientin sitzt! Los geht’s!«
    »Also gut«, gibt er nach, »aber versprich mir, dass du dir nicht zu viel davon erhoffst. Ich kann es mir nicht leisten, dass du hier dauernd aufkreuzt und mir meine Patienten vergraulst. Leidest du an irgendwelchen Allergien?«
    »Das hast du gestern nicht gefragt!«
    »Hab ich wohl!«
    »Hast du nicht!«
    »Mein Gott, Jessi, hör auf, es ist echt wie früher!«
    »Nur im Gegensatz zu früher hab ich jetzt ein Matschauge und du ’ne langweilige Familie.«
    Roland geht zu seinem Medikamentenschrank, holt ein Glasfläschchen raus, pikst mit einer Spritze in das Fläschchen und zieht sie auf. Ich habe so was wie ein Déjà-vu; während ich gestern allerdings noch in schöne Tagträume versunken war, kommt mir heute alles vor wie ein grausamer Alptraum, aus dem ich endlich erwachen möchte. Ich bete zu Gott, dass das Mittel wirkt und mein kleiner Schönheitsplan vielleicht doch noch aufgeht. Wenn das klappt und ich meinen Geburtstag als attraktive Frau feiern kann, verspreche ich, dass ich wieder in die Kirche eintreten werde, auch wenn der Papst noch hundertmal Kondome in Afrika verbietet.
    »Jessica … «, setzt Roland wieder an, aber ich ertrage sein Gelaber jetzt nicht mehr.
    »Halt endlich die Klappe und gib mir die scheiß Spritze! Oder soll ich das selber machen?«
    Viel schlechter als er würde ich es wahrscheinlich auch nicht hinkriegen.
    »So, fertig!« Vor lauter Wut habe ich gar nicht gemerkt, dass er mir die Spritze bereits gegeben hat.
    »Und, wie lange dauert das jetzt?«
    »Keine Ahnung. Wenn es überhaupt etwas bringt, wird es einfach nur etwas schneller gehen als ohne das Mittel. Wir müssen abwarten. Um das Ergebnis besser kontrollieren zu können, würde ich gerne noch mal kurz nachmessen.«
    Er hält mir ein Gerät vor die Augen, das ein bisschen aussieht wie ein Zirkel, aber

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