Abgebrezelt
bleibe ich mit meiner Sonnenbrille an der Nackenstütze des Beifahrersitzes hängen und reiße sie mir von der Nase. Der Taxifahrer hat sich mittlerweile komplett zu mir umgedreht und starrt mir ins Gesicht. Sein Unterkiefer klappt unschön nach unten und seine Augen treten leicht aus den Höhlen.
»Ich fahr Sie ins Krankenhaus!«
Ich will auf gar keinen Fall ins Krankenhaus. Ich versuche ihm das zu sagen, bin aber nicht in der Lage, diesen Wunsch zu artikulieren. Wo in den letzten Tagen alles so einfach rausgepurzelt ist, steht plötzlich eine Art Berliner Mauer, die die Wörter davon abhält, den Kronbachschen Sektor zu verlassen. Lediglich ein dumpfes Gurgeln schafft es über die Grenze, was den Taxifahrer noch anzuspornen scheint, das Gaspedal durch das Bodenblech zu drücken. Nach nur fünf Minuten stoppen wir mit quietschenden Reifen direkt vor der Notaufnahme der Uniklinik. Der Taxifahrer winkt zwei Krankenpfleger ran, die rauchend vor den elektrischen Schiebetüren stehen, daraufhin aber zum Taxi eilen und meine Tür öffnen. Als sie mich sehen, schickt der eine den anderen Krankenpfleger zurück, um eine Bahre zu holen, der zweite hilft mir aus dem Taxi.
»Kommen Sie, ganz laaangsam … vorsichtig!« Er hält mich am Arm, als wäre ich ein rohes Ei. Ich bin immer noch nicht in der Lage, mich zu artikulieren. Der zweite Krankenpfleger ist mittlerweile mit einer Bahre zurückgekehrt, und ich werde daraufgehievt.
»Alles wird gut, bleiben Sie ganz ruhig! Wir helfen Ihnen!« Der jüngere der beiden Pfleger tätschelt mir den Arm während er das sagt. Ich versuche ein Lächeln, was mit der dicken Unterlippe nicht wirklich gelingt, da diese durch die große Spannung fast gar nicht beweglich ist. Der junge Mann lächelt trotzdem zurück. Ob man mir hier tatsächlich helfen kann? Vielleicht ist das ja wirklich meine Rettung! Hier ist man doch medizinisch viel weiter als in so einer einfachen dermatologischen Praxis, hier wird doch ununterbrochen geforscht. Ich hab letztens erst gelesen, dass an dieser Uniklinik ein Durchbruch in Sachen Herzinfarkt geschafft wurde. Vielleicht kennen die sich ja auch mit Botox-Opfern aus. Ich entspanne mich ein wenig und lasse meinen Kopf auf das dünne Kissen sinken. Im Gebäude angekommen, werde ich an einem Mann vorbeigeschoben, der auch auf einer Bahre liegt und an Armen und Beinen stark blutet. Sein Stöhnen geht mir durch Mark und Bein, und ich bin froh, als ich ihn nicht mehr sehen und hören kann. Ein Mann im weißen Kittel läuft jetzt neben mir her: »Bringt sie in Raum zwei! Gibt es schon irgendwelche Werte?«
»Nein, ist gerade mit dem Taxi reingekommen. Der Fahrer wusste auch nicht, was passiert ist.«
Ich werde in einen Untersuchungsraum geschoben, um mich herum herrscht Hektik. Es stehen viele medizinische Geräte herum, die mir Angst machen.
»Können Sie mich verstehen?«
»Ich bin ja nicht taub!«, antworte ich und freu mich, dass ich meine Sprache wiedergefunden habe.
Ein junger und ziemlich blasser Arzt, mit braunen kurzen Haaren, dunklen Augen und noch dunkleren Ringen unter den Augen beugt sich über mich und leuchtet mir mit einer kleinen Taschenlampe ins Gesicht. Sein Atem riecht abgestanden, so als hätte er seit mehreren Stunden nichts mehr gegessen und getrunken oder wäre gerade aufgestanden.
»Haben Sie Schmerzen?«, fragt er mich.
»Nein!«
»Hmmm, das ist wahrscheinlich der Schock. Folgen Sie nun bitte mit den Augen meinem Finger!« Er fuchtelt mir mit seinem Zeigefinger vor der Nase rum, und ich folge ihm brav mit den Augen. »Wie viele Finger sehen Sie?«, fragt er und hält mir drei Finger vors Gesicht. An einem Finger sehe ich einen schmalen goldenen Ring
»Drei und dass Sie verheiratet sind.«
»Und jetzt?« Er hält mir vier Finger vor die Nase.
»Hören Sie, ich kann hören und sehen, aber –«
»Gut, wie ist das passiert? Hatten Sie einen Unfall? Waren Sie ohnmächtig?«
»Nein!«
»Sind Sie gestürzt?«
»Nein! Ich –« Ich richte mich auf und schaue dem ratlosen Arzt erst auf sein Namensschild, auf dem Dr.Herbrandt – Assistenzarzt – steht, und dann ins Gesicht.
»Hat man Sie angefahren?«
»Nein! Hören Sie –«
»War das Ihr Mann? Sie können mir wirklich alles erzählen, Sie sind hier in Sicherheit.« Unbeholfen tätschelt er meinen Arm. Seine Hand ist eiskalt und kann keinerlei Mitgefühl vermitteln.
»Nein, das war nicht mein Mann, ich hab gar keinen Mann.«
»Sie sind nicht gestürzt, es war kein Unfall, und
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