Abgebrezelt
müsst da doch drüber gesprochen haben, oder?«
»Was weiß ich. Ich habe ihn angeschrien, seine kompletten Gerätschaften umgeschmissen und bin aus der Praxis gerannt.«
»Meinst du nicht, Jessi, dass du da ein bisschen heftig reagiert hast?«
»Ich möchte dich mal sehen, wenn dich einer so verunstaltet!«
»Ist ja gut. Du solltest trotzdem noch mal mit Roland sprechen, schließlich ist er der behandelnde Arzt. Vielleicht gibt es ja ein Medikament, das die Wirkung von Botox verkürzt. Irgendwas kann man bestimmt machen.«
»Meinst du wirklich?«
»Ganz bestimmt! Red noch mal mit ihm.«
»Ich überleg’s mir.«
»Gut, Süße! Ich muss jetzt auch los, bin noch mit meinem Anwalt verabredet, du weißt schon, wegen der Sache mit dem Knöllchen. Meld mich morgen noch mal. Und ruf ihn an! Tschüssi.«
Ich finde, dass Caro auch mal hätte anbieten können, bei mir vorbeizukommen. Frustriert nehme ich mir eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank und gehe damit in mein Wohnzimmer, wo ich mich eigentlich auf meine Couch legen will, als mir einfällt, dass ich gar keine Couch mehr habe. Seufzend nehme ich auf dem blanken Fußboden neben der Kommode meiner Oma Platz, die ich gestern bei eBay eingestellt habe, um mir Botox-Behandlung und Geburtstagsfeier leisten zu können. Wie ein Mahnmal steht sie nun im Zimmer. Ich muss unbedingt schauen, dass ich die Auktion stoppe. Wenn ich bedenke, wofür ich dieses wunderschöne Möbelstück hergeben wollte, wird mir schlecht, und meine Oma rotiert wahrscheinlich spätestens jetzt wild in ihrem Grab. Ich schenke mir ein großes Glas Weißwein ein, vielleicht klappt das mit dem Schönsaufen ja auch bei einem selbst.
Dann schnappe ich mir die Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Und während auf RTL gepimpte Dumpfbacken in grotesken Boulevardmagazinen darüber berichten, wie gut Angelina Jolie wieder aussieht und wie sexy Paris Hilton doch ist, betrinke ich mich konsequent. Der Todesstoß kommt aber dann am Abend auf ProSieben: Germany’s Next Topmodel , normalerweise eine meiner absoluten Lieblingssendungen. Aber heute? Lauter hübsche und junge Frauen stolzieren mehr oder weniger grazil über einen Catwalk in einem Bergwerk. Heidi Klum trägt nach zehn Minuten Sendezeit bereits das dritte sexy Outfit, und ich heule – ungeachtet der aufgequollenen Regenwürmer –, was die Tränendrüsen hergeben. Als ich die geballte Ladung Schönheit und all die kleinen Problemchen, die diese Mädels haben und für die ich mehr als dankbar wäre, wenn ich sie denn hätte, nicht mehr ertrage, schalte ich zu 3Sat und schaue mir eine Reportage über die unhaltbaren Zustände in deutschen Altenheimen an. Mit Wundliegen, Demenz und Inkontinenz geht es mir wesentlich besser, als mit »Hilfe, ich habe einen Pickel am Kinn und kann nicht auf hohen Hacken laufen«. Ich wünschte, ich hätte auch Alzheimer und könnte vergessen, was heute passiert ist.
ELF Die hohe Kunst der Stümperei
Ich sitze mal wieder im Taxi auf dem Weg in die Praxis von Roland. Auf meiner Nase thront eine riesige schwarze Sonnenbrille, hinter der mein hängendes Augenlid Gott sei Dank völlig verschwindet. Mit der Brille sehe ich zwar aus wie ein billiger und übergewichtiger Abklatsch der Olsen-Zwillinge, bin aber trotzdem sehr froh, dass ich das Desaster so einigermaßen problemlos verbergen kann. Als wir an der Praxis angekommen sind, zittern meine Hände von den sieben Tassen Kaffee, die ich heute Morgen getrunken habe, Schlafmangel und dem gestrigen Riesling so stark, dass ich große Schwierigkeiten habe, den Geldschein aus meinem Portemonnaie zu frickeln und ihn dem Fahrer zu geben. Als ich ihm den Schein hinzittere, schaut er mich kurz, aber intensiv an und öffnet dann das Handschuhfach. Ich kriege Panik, dass er mich bedrohen will, aber statt einer Waffe zieht er einen silbernen Flachmann heraus und reicht ihn mir. »Nehmen Sie ruhig einen Schluck, ich kenn das.«
»Sie kennen was? Seh ich so aus, als würde ich schon am Morgen saufen?«
Statt einer Antwort öffnet der Fahrer die Flasche nun auch noch und hält sie mir noch ein Stück näher hin. Ich sehe so aus! Dann, denke ich mir, ist es auch egal. Ich nehme den Flachmann, setze ihn an und trinke ihn leer. Das Zeug schmeckt widerlich bitter, und ich bin kurz davor, es wieder auszuspucken, irgend so ein Magenbitter-Zeug. Ich gebe dem Taxifahrer seinen Flachmann zurück, der nickt wissend, und ich steige aus.
In der Praxis gehe ich grußlos an der
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