Abgebrezelt
Telefon.
»Jessica? Was in Gottes Namen treibst du da? Und was soll diese blöde Frage?« Jetzt höre ich Roland wieder laut und deutlich.
»Ich weiß, dass du das mit Absicht gemacht hast.« Ich bin so ruhig und kalt wie das Polarmeer bei absoluter Windstille.
»Was soll ich mit Absicht gemacht haben? Sag mal, spinnst du jetzt?«
»Nun ja, erst hast du mir das Botox in den falschen Muskel gespritzt, damit ich zu einem Zyklopen werde, und weil dir das noch nicht gereicht hat, hast du mir noch schön eine Spritze verpasst, die mich aussehen lässt, als hätte ich gerade einen Crashtest hinter mir.« Ich höre, wie er seufzt.
»Jessica, das ist doch kompletter Unsinn. Warum sollte ich das tun?«
»Na, warum wohl? Wegen Jens natürlich, ist doch klar.«
»Jens? Wer ist Jens?«
»Roland! Tu doch nicht so scheinheilig! Jens ist der Mann, mit dem ich dich betrogen habe, und das weißt du auch ganz genau.«
»Ach Gott, der. Mann, Jessica! Das ist Jahre her! Ich bin mittlerweile glücklich mit einer anderen Frau verheiratet, habe Kinder! Diese Geschichte interessiert mich nicht mehr, ich bin da seit Jahren drüber weg.«
»Ich glaub dir kein Wort. Du warst schon immer extrem nachtragend und hast nie einen Fehler vergessen, den ich deiner Meinung nach begangen habe. Und es waren immer meine Fehler, Mister Perfect hat ja niiiie was falsch gemacht.«
Ich muss mich jetzt unglaublich beherrschen, um weiter so ruhig zu bleiben, aber ich weiß genau, dass ich wesentlich bedrohlicher wirke, wenn ich nicht hysterisch durch die Gegend brülle.
»Jessica, du bist total überdreht! Das ist doch echt nicht normal, was du da behauptest. Weißt du was? Ich geb dir jetzt mal die Nummer von Dr.Klausner, das ist ein wirklich guter Freund von mir und äh … Psychotherapeut.«
Ich schnappe nach Luft. »Sag mal, tickst du noch ganz richtig?«
»Ich hab ’ne Menge Patienten im Wartezimmer! Ich muss auflegen. Alles Gute, Jessica, und, wie gesagt, ich sims dir gleich mal die Nummer von Dr.Klausner.« Damit legt er auf. Ich spreche trotzdem weiter …
»Dieser Arsch, diese medizinische Vollkatastrophe, dieser hinterhältige Stümper!«, brülle ich laut in den Raum, nehme das Sitzkissen vom Boden und knalle es solange gegen die Wand, bis die ersten Federn fliegen. Und das ist erst der Anfang. Dem werde ich’s zeigen!
ACHTZEHN Graffiti-Queen
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als in meiner schwarzen Trainingshose das Haus zu verlassen; für meine Lieblingsjeans bin ich dank Schokolade und Wein einfach zu fett geworden: ›Herzlichen Glückwunsch, Frau Kronbach, Sie sind die Siegerin beim »Blitz-Bratarsch-Contest!« und gewinnen einen XXL-Fernsehsessel für zu Hause und ein Jahr lang jeden Tag eine Palette Cheese & Onion-Chips!‹ gratuliere ich mir selbst. Zur Jogginghose kombiniere ich wie immer Sonnenbrille, Tuch und Baseballkappe, die ich mir heute besonders tief ins Gesicht ziehe.
Im Hausflur ist alles ruhig, und ich husche schnell die Treppe hinunter. Gut, denn ich möchte auf gar keinen Fall Frau Raabe über den Weg laufen. Langsam öffne ich die Haustür und schaue die Straße und den Bürgersteig hinunter, da sehe ich von links eine Gestalt auf mich zukommen. In weniger als einem Sekundenbruchteil weiß ich, um wen es sich handelt. Dieser Gang ist so unverkennbar – dieses leichte Wippen in den Knien, der Ansatz von O-Beinen –, dass ich mich gar nicht irren kann: Das ist Jens! Ich weiche zurück und lasse die Haustür geräuschlos zurück ins Schloss fallen. Dann erlischt Gott sei Dank das Licht, und ich stehe stoßweise atmend, im dunklen, nach Meister Proper Bergfrühling riechenden Hausflur.
In dem Moment erscheint auch schon die Silhouette von Jens im Glas der Haustür, die sich ein wenig von dem Licht der Straßenlaterne abhebt. Seine Hand greift zu den Klingelknöpfen, und ich höre prompt meine Türklingel oben schellen. Mehrfach. Irgendein Vollidiot hat die Klingeln im Haus so angebracht, dass jeder hört, wenn irgendwer irgendwo klingelt. Wie gerne würde ich jetzt zur Tür rennen, sie aufreißen und dem schönen Jens in die Arme fallen. Ich sehne mich so sehr nach einer liebevollen Umarmung, nach einem Menschen, der sich um mich kümmert, der mir zuhört. Aber wer will schon einer hässlichen, fetten Kuh in hässlichen schwarzen Klamotten zuhören? Dann höre ich Schritte aus der Wohnung von Frau Raabe. Die darf mich hier auf gar keinen Fall erwischen. Ich löse mich aus meiner Versteinerung, husche
Weitere Kostenlose Bücher