Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Schmidt
Vom Netzwerk:
wieder auf und wiederhole die Prozedur weitere zwanzigmal. »Weeeeeeeeeeeeng … rotes Licht im Kopf … Arrrrrrrrrrrr … weißes Licht in der Brust … Honggg … blaues Licht im Bauch« und einatmen. Fertig!
    Aufgeregt laufe ich ins Bad und hole mir einen kleinen Handspiegel, um das Ergebnis zu überprüfen. Keine Veränderung! Ich bin wie besessen und wiederhole das Mantra noch zwanzigmal. »Weeeeeeeeeeeeng … rotes Licht im Kopf … Arrrrrrrrrrrr … weißes Licht in der Brust … Honggg … blaues Licht im Bauch« und einatmen. Und dann noch zehnmal. Vielleicht hab ich mich nicht genug konzentriert. Und noch mal. Vielleicht war es ja diesmal zu laut. Und noch mal. In der unbequemen Sitzhaltung schlafen mir die Beine ein, außerdem fällt es mir so langsam schwer, die Arme in der Position vor dem Bauch zu belassen, und trotzdem mache ich weiter, bis mir diese kleinen inhaltslosen Worte das Hirn völlig vernebeln. »Weeeeeeeeeeeeng … rotes Licht im Kopf … Arrrrrrrrrrrr … weißes Licht in der Brust … Honggg … blaues Licht im Bauch« ... – und plötzlich passiert etwas. Ich habe auf einmal das verrückte Gefühl, dass sich meine Seele, mein Geist von meinem Körper löst. Etwa so, wie man es schon oft von Menschen gehört hat, die dem Tode nahe waren und die sich selbst beobachten konnten, wie sie im Krankenbett liegen und die Ärzte um ihr Leben kämpfen. Ich schwebe an der Zimmerdecke und sehe, wie ich da so in meinem Wohnzimmer sitze, mit zerdellter Visage und zusammengekniffenen Arschbacken, immer wieder völlig unsinniges Zeug vor mich hin brabbelnd. Bin das wirklich ich? Eine ehemals hübsche und intelligente Frau, die voll im Leben steht? Das Gesicht von Interpool? Schön und begehrenswert? Eine Frau, die auf alle Partys eingeladen wird? Eine Stilikone?
    Nein. Das, was da unten hockt, ist ein Häuflein Elend, nicht hübsch, nicht intelligent. Das Gesicht von Interpool? Ha! Für eine Rolle als misshandelte Leiche im Tatort würde es vielleicht noch reichen. Da unten sitzt eine fast 35-jährige Frau, die sich verzweifelt an irgendwelche hanebüchenen Selbstheilungsbücher klammert.
    Jämmerlich. Hässlich. Einsam. Das bin ich, und so ist auch mein neues Leben.

SIEBZEHN  Unterschichten-TV
    Ich sitze in meinem mittlerweile nicht mehr ganz so rosafarbenen Jogginganzug auf meinem Sitzkissen und starre in den Bildschirm. Es ist Tag Vier im Jahre Null.
    Seit meinem Botox-Unfall hat für mich eine neue Zeitrechnung begonnen, und nachdem alle Versuche, meinen Zustand zu verbessern, fehlgeschlagen sind, hänge ich fast ausschließlich vor der Glotze. Ich war in den letzten vier Tagen kein einziges Mal vor der Tür, noch nicht mal am Briefkasten. Kein Büro, kein Tümpel-Jogging, keine Maniküre, kein Solarium. Meine Energiereserven sind auf dem absoluten Nullpunkt. Ich fühle mich wie ein Luftballon, aus dem man die Luft rausgelassen hat, nur mit dem Unterschied, dass ich durch Bewegungsmangel und schlechte Ernährung statt weniger immer mehr werde. Mein Pflege- und Stylingprogramm besteht aus Zähneputzen und den Jogginganzug anziehen, was den Vorteil hat, dass ich morgens im Bad statt 60 nur noch vier Minuten brauche. Eine vollkommen neue Erfahrung für mich.
    Nur blöd, dass der Tag sowieso schon gefühlt länger ist als das Leben von Jopi Heesters. Das Telefon hat ein paarmal geklingelt, ich bin aber nicht ran. Caro hat daraufhin noch mehrere SMS geschrieben und gefragt, wie es mir geht und was denn jetzt mit meiner Geburtstagsfeier sei. Ich hab ihr kurz geantwortet, dass ich keine Ahnung habe und im Moment ein wenig Ruhe brauche.
    Auch Simone hat versucht, mich ein paarmal zu erreichen, und auch ihr hab ich eine Entschuldigungs-SMS geschrieben. Sonst hat sich keiner gemeldet. Kein Ton von Julia. Seit zwei Tagen schweigt das Telefon, und nichts ist mehr, wie es vorher war. Mein komplettes Leben wurde mit einer kleinen Spritze einmal von innen nach außen gekrempelt, und alles, was damit zusammenhängt, ist im Moment eine einzige Enttäuschung. Meine Freundinnen, meine Arbeitskollegen, meine Ärzte, ich selbst. Und auf meine Familie konnte ich leider noch nie zählen. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich sechs Jahre alt war. Mein Vater hat sich seitdem überhaupt nicht mehr um mich gekümmert, und meine Mutter lebt mit einem Mann zusammen, den ich partout nicht ausstehen kann.
    Der Zustand meines Auges hat sich auch nach vier Tagen noch nicht verbessert, es hängt immer noch exakt 0,5

Weitere Kostenlose Bücher