Abgebrezelt
lautlos zur Kellertreppe und bete zu Gott, dass die Tür offen ist. Ich drücke die Klinke runter, und endlich hab auch ich mal wieder Glück: Die Tür ist offen, und ich verschwinde in dem Augenblick im Keller, in dem Frau Raabe ihre Wohnungstür öffnet und das Licht im Flur anmacht.
»Ja, was ist denn hier los?«, höre ich sie poltern, »wer klingelt denn hier ununterbrochen?«
Ich klebe mit meinem Ohr und meinem Ausschlag an der Kellertür, was der Heilung wahrscheinlich auch nicht gerade zuträglich ist. Ich höre, wie Frau Raabe die Haustür öffnet.
»Ja, sagen Sie mal, was soll denn diese ständige Klingelei?«
Und dann höre ich die sonore Stimme von Jens, die mir wie Lava durch das komplette Nervensystem meines Körpers schießt und mich fast in den Wahnsinn treibt.
»Ähm, guten Abend. Ich wollte zu Jessica, Jessica Kronbach.«
»Zu der Verrückten? Die wohnt nicht hier. Also nicht mehr lang … «
Frau Raabes Stimme ist voller Hass und Abscheu, und ich würde gerne losbrüllen, dass sie eine bösartige, verleumderische Hexe ist, die man im Mittelalter garantiert auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte. Geistesgegenwärtig beiße ich mir in die Faust und verhindere damit, dass ich mich verrate und wegen Beleidigung angezeigt werde.
»Verrückt? Reden wir von derselben Person? Ich meinte Jessica Kronbach … «
Jens ist ganz offensichtlich sehr irritiert.
»Ganz genau. Frau Jessica Kronbach«, sie zischt meinen Namen wie eine hochgiftige Natter, der man gerade auf den Schwanz getreten ist, »und ich sage Ihnen eins: Ich will nichts mehr mit dieser unmöglichen Person zu tun haben. Dem Vermieter hab ich auch schon Bescheid gesagt, dass der mal nach dem Rechten kucken sollte … Und jetzt verschwinden Sie hier und hören auf, mich zu belästigen!«
Ich höre noch ein »Aber … «, bevor die Haustür ins Schloss kracht. Eine Minute später erlöscht das Flurlicht, das durch die Ritzen der Kellertür gefallen ist. Ich warte noch zwei Minuten und öffne dann leise die Tür. Alles ist ruhig, und ich schlüpfe in den Flur. Dann öffne ich vorsichtig die Haustür und schaue wieder die Straße runter. Jens ist weg, erleichtert atme ich auf. Nach einer gefühlten Ewigkeit mache ich mich endlich auf den Weg zum Baumarkt, immer darauf bedacht, dass mich keiner bemerkt und voller Trauer über die verpasste Gelegenheit, Jens endlich wiederzusehen.
Ich stehe seitlich vom Eingang des Baumarktes, wo man mich nicht sofort sehen kann, und schaue in den hell erleuchteten Verkaufsraum. Dummerweise ist es noch relativ voll, und ich entschließe mich ein bisschen zu warten. Der Parkplatz liegt im Dunkeln und ich drücke mich ziellos zwischen den Autos herum. Früher hätte ich Angst gehabt, hier von irgendwelchen Typen zusammengeschlagen und vergewaltigt zu werden. Heute habe ich überhaupt keine Angst. Wer will mich schon vergewaltigen oder überfallen? Umso mehr erschrecke ich mich, als mir jemand mit einer Taschenlampe voll ins Gesicht leuchtet.
»Was machen Sie hier?«, bölkt mich eine männliche und sehr dunkle Stimme an. Wegen des Lichtstrahls im Gesicht, kann ich leider überhaupt nicht erkennen, wer die Taschenlampe in der Hand hält und das, obwohl ich eine Sonnenbrille trage.
»Wer sind Sie?«, piepe ich unsicher in die Richtung, aus der die Stimme kommt, und versuche aus dem Schein der Taschenlampe zu treten, was mir aber nicht gelingt, weil der Lichtstrahl mir problemlos folgt.
»Sicherheitsdienst! Ich will wissen, was du hier machst.«
»Kennen wir uns oder warum sind wir per Du? Und hören Sie mal auf, mir mit Ihrer Stasi-Lampe ins Gesicht zu leuchten! »
»Ich geb dir gleich Stasi! Wenn du glaubst, du könntest hier in Ruhe Autos aufbrechen, dann hast du dich geschnitten.«
Er kommt bedrohlich auf mich zu, und ich weiche einen Schritt zurück. »Oder möchtest du vielleicht, dass ich dir meinen kleinen süßen Hund auf den Hals hetze?«
Ich höre ein bedrohliches Knurren, was nicht auf einen kleinen Paris-Hilton-Handtaschen-Pinscher schließen lässt, und beschließe kurzfristig, seiner Aufforderung nachzukommen: Ich haue ab. »Und lass dich hier bloß nicht noch mal blicken!«, schallt es mir noch hinterher. Ich renne zwischen den Autos durch, bleibe mehrmals an einem Außenspiegel hängen, rapple mich wieder hoch und verstecke mich auf der anderen Seite des Baumarktes hinter einer Mülltonne. Noch nie hat irgendjemand mit mir gesprochen, als wäre ich der letzte Dreck. Kriminell und
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