Abgebrezelt
Ich will mich gerade durch die ersten Links wühlen, da klingelt mein Telefon. Unwillig gehe ich dran. In der Leitung ist ein sehr aufgeregter und unzufriedener Kunde, der sein Badezimmer in eine Schaumparty-Location verwandelt hat und seinen Frust jetzt an mir auslässt. Ich bitte ihn kurz zu warten, packe ihn dann in die Warteschleife und stelle ihn nach fünf Minuten, also in einem Moment, in dem er vor Wut wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes überschäumt, zu meiner Kollegin Christine durch, die ein paar Büros weiter in der gläsernen Schlangengrube sitzt. Sobald sie drangeht, lege ich auf. Ich habe schließlich noch 90 599 Links zum Thema »Anti Aging Köln« zu bearbeiten und muss noch meine antike Kommode bei eBay anbieten.
VIER Hanni und Nanni
Als ich gerade das zweite virtuelle Kosmetik-Studio betreten will, steht Julia in der Tür. Wie soll man in dieser Firma nur arbeiten, wenn man alle zwei Minuten gestört wird? Julia trägt eine gelbe Bluse mit kleinen grünen Quadraten drauf und eine Jeans, die hundertprozentig noch aus der Ära von a-ha stammt, so hoch wie die in der Taille geschnitten ist. Julia hat ein rundliches, im Grunde sehr hübsches Gesicht, das im Gegensatz zu meinem, so gut wie noch nie mit Produkten der Kosmetik-Industrie in Berührung gekommen ist. Sie schwört auf Creme 21 für vier Euro und benutzt grundsätzlich nichts anderes. Sie behauptet, dass sie von Produkten, die mehr als vier Euro kosten, Pickel bekommt. Wahrscheinlich handelt es sich um Sparsamkeitspickel. Zum nicht vorhandenen Make-up trägt Julia eine ovale Brille, die sogar aus Dita von Teese eine Oberstudienrätin machen würde. Ihre schönen dunklen lockigen Haare sind schulterlang und meistens – wie auch heute – zu einem praktischen Zopf gebunden. Julia hat grundsätzlich ein paar Kilo zu viel, die sie aber nicht stören, zumal sie Sport hasst und gutes Essen liebt. Immer wenn ich Julia sehe, sehe ich eine graue Maus, die man innerhalb von wenigen Stunden in einen wunderschönen Schwan verwandeln könnte. Aber was bringt das, wenn die Maus nun mal partout Schwäne nicht leiden kann.
Die meisten wundern sich, dass wir beide befreundet sind, weil wir in Sachen Styling so unterschiedlich ticken, aber Julia und ich kennen uns mittlerweile seit über 25 Jahren. Unsere Eltern haben sich in einem Urlaub am Plattensee angefreundet, und so mussten wir uns gezwungenermaßen miteinander beschäftigen. Bei ihrem ersten Besuch bei mir zu Hause ist Julia zur Begrüßung erst mal auf meine neue und vor allem noch ungehörte Hanni-und-Nanni -Schallplatte getreten, was dazu führte, dass ich bei unserem Gegenbesuch leider ihre neue Fünf-Freunde -Kassette übersehen habe. Und auch als Jugendliche tickten wir vollkommen ungleich. Während Julia mit 14 immer noch »Stille Nacht, heilige Nacht« auf der Blockflöte übte, hab ich schon auf Madonnas »Material Girl« abgerockt und wild mit den Jungs aus der Klasse über mir geknutscht. Ich trug angesagte weiße Vanilia-Jeans und nachgemachte Burlington-Socken – die Socken natürlich über der Hose und nachgemacht deswegen, weil meine Mutter sich geweigert hat, mir für 16 Mark die echten zu kaufen, was zu zahlreichen hysterischen Anfällen inklusive Morddrohungen gegen meine Mutter geführt hat. Im Nachhinein betrachtet sah ich damals natürlich grauenvoll aus, aber Julia übertraf das Ganze noch. Sie trug in den Achtzigern immer noch braune Cordhosen und grüne Rollkragenpullover mit farblich abgestimmten Pullundern aus den Siebzigern und dazu einen gruseligen Rucksack mit Blümchenmuster, den sie selbst genäht hatte und der nach kürzester Zeit so aussah, als hätte sie ihn aus irgendeinem Container gezogen. Und ich glaube, an Socken hat sie in ihrem Leben noch nie einen einzigen Gedanken verschwendet.
Und trotzdem sind Julia und ich seit über zwanzig Jahren befreundet. Vielleicht ist es gerade unsere Unterschiedlichkeit, die uns verbindet. Zwischen uns gibt es niemals Eifersüchteleien, wir streiten nie wegen Männern und keine würde der anderen in Sachen Styling je was vor- oder nachmachen. Leider können wir aber auch nie Klamotten, Schmuck oder Kosmetika austauschen oder gemeinsam shoppen gehen. Dafür gehen wir ins Kino, schauen uns zusammen amerikanische Serien über durchgeknallte Hausfrauen an oder lästern über unseren dämlichen Chef.
»Komm, Jessi, wir müssen los!« Julia steht direkt vor meinem Schreibtisch und wippt ungeduldig mit dem rechten
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