Abgebrezelt
Fuß.
»Wohin? Ich hab jetzt keine Zeit!« Ich habe absolut keine Ahnung, wovon sie spricht.
»Zum Brunch von Melli, gleich ist Geschenkübergabe.«
»Geschenkübergabe? Was für ein Geschenk?«
»Na, Melli hat heute Geburtstag, und Christine hat doch letzte Woche für den Büro-Brunch und einen Wellness-Gutschein gesammelt.«
»Echt? Bei mir nicht!«
»Echt nicht? Sie war letzten Freitag bei mir im Büro, und ich hab ihr extra gesagt, dass sie auch noch bei dir vorbeigehen soll. Hast du auch keine Einladung zum Brunch bekommen?«
»Natürlich nicht!« Diese hinterhältige, miese Kröte! Diese niederträchtige Kellerassel! Die weiß ganz genau, dass ich Melli total gerne mag und mich liebend gern an ihrem Geschenk beteiligt hätte.
»Mann, dass ihr damit aber auch nicht mal aufhören könnt!«, regt sich Julia auf. »Diese ganze Miss-Interpool-Geschichte ist doch jetzt echt schon über drei Jahre her!«
»Was heißt denn hier ›ihr‹? Ich kann doch nichts dafür, wenn sie sich von französischen Marketingheinis vögeln lässt, nur weil sie Miss Interpool werden will!«
Julia seufzt.
»Ist sie ja nicht geworden.«
»Da siehste mal. Schlecht im Bett ist sie also auch noch!«
»Ach Jessi … «
»Wie? Ach Jessi? Ist doch wahr!«
Julia kann einfach nicht nachvollziehen, warum Christine und ich seit Jahren im Clinch liegen. Ich kann nur sagen, an mir liegt es nicht.
»Egal. Ich komme trotzdem mit!«, sage ich und stehe auf.
»Und was ist mit einem Geschenk?«, fragt Julia erstaunt.
»Irgendwas wird mir schon noch einfallen.«
Auf dem Weg zu Melli kommen wir an Christines akkurat aufgeräumtem Schlangengruben-Büro vorbei. Sie sitzt nicht drin, weil sie sich wahrscheinlich bereits um den Brunch kümmert. Als ich auf ihrem Schreibtisch einen hübschen und ganz frischen Frühlingsblumenstrauß sehe, gehe ich hinein.
»Jessi, was hast du vor?«
»Ich hole nur eben das Geschenk für Melli.«
»Aber das kannst du doch nicht machen! Du kannst doch nicht einfach … «
»Und ob ich kann! Wer ist denn Schuld, dass ich kein Geschenk habe?«
Ich schnappe mir den Blumenstrauß, gehe schnell zurück in mein Büro, in dem ich Geschenkpapier und Geschenkband habe und wickle die Blumen kunstvoll in buntes Papier, so dass es aussieht, als hätte ich sie eben im Blumenladen gekauft. Julia steht in der Tür und schüttelt den Kopf. Danach verschwinde ich noch mal kurz im Waschraum, um mein Make-up ein wenig aufzufrischen. Julia kommt mir hinterher und positioniert sich so, dass ich sie im Spiegel sehen kann.
»Wir sind eh schon spät dran!«, nölt sie.
»Du weißt doch, je später der Abend … «
»Ja, ja! Hör bloß auf damit!«
Ich nehme einen zartrosafarbenen Lipgloss aus der Tasche und streiche mir den Gloss auf die Lippen.
»Du auch?« Ich halt Julia das kleine Döschen hin, aber sie schüttelt den Kopf und verzieht das Gesicht.
»Neee, vielen Dank, ich würd jetzt lieber endlich mal was essen! Hab extra nicht gefrühstückt!«
Bei Julia ist nicht nur Hopfen und Malz, sondern alles, was irgendwie schön machen könnte, auch noch verloren. In der Hoffnung, dass die Linien so weniger auffallen, pudere ich mir meine Stirn noch mal akribisch ab, ziehe den Lidstrich nach, um den Fokus mehr auf die Augen zu lenken, und binde meinen Zopf etwas enger – das liftet das Gesicht. Ich will der fünf Jahre jüngeren Christine keine noch größere Angriffsfläche bieten, als ich es im Moment sowieso schon tue.
»Ooooooch, der ist aber toll. Wie lieb von dir!« Melli freut sich über den Blumenstrauß und nimmt mich herzlich in den Arm. Beim Drücken muss ich weit ausholen und komme mit meinen Armen auch nicht ganz um sie rum: Melli ist ziemlich rund und trägt auch heute ein zeltartiges Oberteil in Schwarz. Melli hat schon über sechzig Diäten hinter sich und auch die Fatfighters, Weight Watchers und der von mir empfohlene Kilocoach konnten sie bisher nicht davon abhalten, beim kleinsten Problem zu Schokolade, Kuchen und Gummibärchen zu greifen. Und Melli hat leider viele Probleme, die jeweils mindestens ein Kilo pro Woche bringen: ihren Chef, ihren Exmann, ihre Mutter, die Kollegen, das Finanzamt und so weiter.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Christine, die wegen des Blumenstraußes die Augen verdreht und direkt zum Gegenschlag ansetzt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mitbekommen hat, dass es sich bei den Blümchen um ihre Blümchen handelt. Da Melli den Strauß aber nur oben rum ausgepackt hat, wahrscheinlich
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