Abgebrezelt
eher nicht. Christine ärgert sich vor allem darüber, dass mir besondere Beachtung zuteil wird. Sie hat sich mal wieder total rausgeputzt. Stiefel, kurzer Rock, schwarze Tunika – vollkommen overdressed fürs Büro, aber ich muss leider zugeben, dass sie gut aussieht und ich heute besonders neidisch bin. Wenn ich gewusst hätte, dass ein gesellschaftliches Geburtstagsereignis ansteht, hätte ich mir auch was anderes angezogen. Und Christine sieht nicht nur gut aus, sie hat auch noch groß aufgefahren. Der Konferenztisch ist total überladen mit lauter Leckereien: Alle Sorten Brötchen, italienische Salami, spanischer Schinken, verschiedenste Käsesorten, gelbe und rote Cocktailtomaten, Paprika, Marmelade, Nutella, drei verschiedene Säfte, Sekt, Kaffee … alles, was das Herz begehrt. Mindestens 40 Kollegen und Kolleginnen sind da, was selten genug der Fall ist bei Geburtstagsfeiern.
»So, liebe Melli, und jetzt möchten wir dir gerne dein Geschenk überreichen.« Christine steht vor dem Buffet, lächelt und betont insbesondere das Wörtchen »wir«. Sie fühlt sich offensichtlich wohl in ihrer Rolle als Gastgeberin. Sie übergibt Melli den Gutschein mit einer Geste, als wäre es das gerade von den USA unterschriebene Kyoto-Abkommen. Melli freut sich natürlich und will sich gerade allgemein bedanken, als Christine ihr ins Wort fällt:
»Melli, du musst mal schauen, wer da unterschrieben hat, das sind nämlich diejenigen, von denen das Geschenk ist. Es haben sich fast alle beteiligt … « Bei »fast« schaut sie mich an, die blöde Kuh.
Ein paar Minuten später, als alle damit beschäftigt sind, das Buffet leerzuräumen, schnappe ich mir Christine. »Ich hätte mich ja sehr gerne beteiligt, liebe Christine, wenn man mich gefragt hätte.«
Christine hält sich theatralisch die Hand vor den Mund. »Ach du lieber Himmel, hab ich dich gar nicht gefragt? Da muss ich dich wohl vergessen haben, liebe Jessica.«
Bevor ich etwas darauf erwidern kann, wendet sie sich wieder der Geburtstagsgesellschaft zu: »Jetzt lasst uns aber mal anstoßen und auf das Wohl von Melli trinken.«
Am liebsten würde ich Christine den Sekt ins Gesicht kippen, aber stattdessen erhebe auch ich mein Glas, schließlich kann die arme Melli ja nichts dafür, und lächle gequält.
Ich bleibe ungefähr eine halbe Stunde auf dem Brunch, länger schaffe ich es einfach nicht, all den Leckereien zu widerstehen. Als ich mich gerade von Melli verabschieden will, gesellt sich Christine noch mal zu uns.
»Wusstet ihr eigentlich schon, dass das Marketing einen komplett neuen Firmen-Auftritt plant? Die Internetseite, die Plakate, das komplette Corporate Design – alles soll verjüngt werden.«
»Echt? Nee, das wusste ich nicht«, meint Melli, die sich gerade ein Brötchen mit einem halben Kilo Gouda in den Mund schiebt und der offensichtlich nicht bewusst ist, dass Christine über mich redet und darüber, dass ich »verjüngt« werden soll.
»Höchste Zeit, dass sich da mal was ändert«, findet Christine, und bevor ich was dazu sagen kann, ist das Christine-Vögelchen – nachdem es mir so wunderbar auf den Fuß geschissen hat – auch schon wieder weggeflogen. Ich könnte platzen vor Wut.
Was mich ein bisschen tröstet, ist der Schreikrampf, den sie eine halbe Stunde später bekommt, als sie in ihr Büro zurückgeht, wo in ihrer hässlichen Kristallvase statt hübscher Frühlingsblumen nur noch grünes brackiges Wasser steht. Dann rufe ich in der Marketingabteilung an, wo ich erfahren muss, dass der Marketingleiter Monsieur Laval zurzeit im Urlaub ist. Seine Sekretärin kann mir leider auch nicht sagen, ob ein neues Corporate Design gerade in Planung ist, ich soll nächste Woche noch mal anrufen. Was für ein scheiß Tag!
FÜNF Wofür Möbel?
»Sag mal, Jessi, was sollen denn die ganzen Post-its an deiner Waschmaschine?« Julia steht im schmalen Flur meiner Wohnung und hat ihren Kopf in mein vollgestopftes Mikro-Bad gesteckt, in dem ich mich gerade zu Ende schminke. Klein ist mein Bad vor allem, weil der Whirlpool gut drei Viertel des Platzes beansprucht.
Julia und ich wollen ins Kino, in den Woody-Allen-Film Vicky Christina Barcelona . Ist zwar nicht der neueste Film, aber als der rauskam, hatte ich keine Zeit, ihn mir anzuschauen, und das, obwohl ich großer Woody-Allen-Fan bin und so gut wie alle Filme gesehen habe. Jetzt wird Vicky Christina Barcelona in einem kleinen Kölner Kino noch mal gezeigt, und ich bin total gespannt, vor allem
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