Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
getanzt hat. Sonst spricht er von seiner ersten Frau, als wäre sie tot, und bezieht sich auf diese Zeit mit den Worten: »Als passierte, was dann passierte.«
Boraletti lässt sich nichts anmerken und setzt bei Giuseppes Anblick die Maske des höflichen Gastgebers auf, wie man es unter Anwälten zu tun pflegt. Jedes Wort, jede Geste müssen dem gleichgestellten Kollegen gegenüber von höchstem Respekt zeugen. In solchen Gesprächen, die immer demselben Muster folgen, gibt es nur liebe Menschen.
»Mein Lieber, das Papier, das du mir hast zukommen lassen, war ein ganz großer Mist. Das hätte ich von dir nicht erwartet.«
»Aber mein lieber Kollege, im Interesse unserer Mandanten mussten wir ein paar kleine Veränderungen vornehmen.«
»Das weiß ich sehr wohl, mein lieber Kollege, und ich kann das auch verstehen. Aber so zerstören wir die Gesamtstruktur. Du musst entschuldigen, dass ich es einen ganz großen Mist nenne, aber ich möchte mich klar ausdrücken.«
»Sicher, mein Lieber, sicher. Aber es handelt sich nicht um ganz großen Mist. Und wenn ich ganz großer Mist sage, dann tue ich das nur, um deine Worte zu gebrauchen und mich auf deine Ebene zu begeben.«
»Ich denke – verzeih mir, mein Lieber –, dass du dich nicht ganz auf der Höhe deiner Fähigkeiten zeigst.«
»Aber nicht doch, mein Lieber, die Sache ist eher deiner allseits bekannten Unfähigkeit zuzuschreiben.«
»Leck mich.«
»Das fasse ich allerdings als Beleidigung auf.«
»Ach so, entschuldige bitte: mein Lieber.«
Boraletti und Giuseppe schütteln sich herzlich die Hand und beglückwünschen dann den jeweils anderen zu Fällen, von denen man mal irgendetwas gehört hat, und bescheinigen sich wechselseitig, obwohl man sich heute zum ersten Mal sieht, ein entschieden verjüngtes Aussehen. Schließlich nehmen sie am Tisch Platz, und Giuseppe eröffnet die Runde.
»Okay, ich möchte, dass wir eine Sache im Kopf behalten«, beginnt er und schafft es beim zweiten Versuch, perfekt die Fingerkuppen aneinanderzulegen. »Das hier sind keine Friedensverhandlungen in einem Krieg. Nein. Dies hier sind Friedensverhandlungen in Friedenszeiten. Denn ein Joint Venture ist ein gemeinsames Projekt, und wir sind hier, weil wir aus zwei Parteien eine machen wollen, nämlich uns.«
Giuseppes Anwesenheit erlaubt es mir, mich zurückzulehnen. Der Klang seiner Worte vermischt sich mit den hochtrabenden Ausdrücken, mit denen Boraletti seine Überlegungen anreichert, und erzeugt in mir eine gewisse Schläfrigkeit, gegen die ich ankämpfe, indem ich mich auf beliebige Dinge konzentriere: einen Nachtfalter, der auf der Gardine sitzt und schläft, eine Leinwand, auf die eine zerbrochene Geige montiert ist, einen Sonnenstrahl, der auf einen Wassertropfen fällt und einen kleinen Regenbogen erzeugt, den Daumenknöchel von Donato, der immer mal wieder den Raum verlässt, das Tuch mit den feinen gelben Streifen um Emilys Hals.
Emily .
Emily folgt aufmerksam. Sie schreitet ein, präzisiert, macht sich Notizen. Manchmal lächelt sie auch. Sie wirkt entspannt. Ab und zu kreuzt sie meinen Blick. Ich gebe ihr dann mit kleinen mimischen Zuckungen meine Haltung zu verstehen, He, was willst du machen, hier sind wir nun einmal . Sie senkt sofort den Blick und konzentriert sich wieder. Beleidigt scheint sie nicht zu sein.
»Nimm zum Beispiel die Walküre «, sagt Boraletti. »Natürlich handelt es sich um eine Einspielung aus der Ära nach Karajan, aber hör dir den letzten Akt an, in dem Brünnhilde nicht mehr viel zu singen hat. Ex-zel-lent . Und dann musst du dir unbedingt den Knappertsbusch- Ring besorgen. 1956.«
Giuseppe und Boraletti schweifen vom Thema ab.
Ich erwache aus der Erstarrung.
Giuseppe denkt über Boralettis Ausführungen nach und klopft wiederholt mit dem Zeigefinger gegen den rechten Nasenflügel.
Ich nehme mein Blackberry, schreibe eine Nachricht und drücke auf senden .
Heute Abend muss ich zum Abschiedsumtrunk eines Kollegen. Kommst du mit?
Sekunden später ist von Emilys Blackberry ein leichtes Vibrieren zu vernehmen. Emily nimmt es, liest und runzelt die Stirn. Giuseppe hat es derweil fast geschafft, den Finger wieder herunterzunehmen.
»Wunderbar, hohe Kunst. Aber …« Giuseppe wägt seine Worte sorgfältig ab. »Manchmal – darf ich das sagen, mein lieber Franco? – was für zwei Riesenhornochsen.«
Sie brechen in Lachen aus.
Mein Blackberry vibriert. Langsam nehme ich es, emotionslos.
Und lese.
Ich denke eher nicht.
Auf
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