Abgetaucht
sie den Ellenbogen mit der linken Hand nach unten drückte.
Dem Vergleich mit den anderen aus den Parallelklassen konnte sie eigentlich beruhigt entgegensehen. Aber es half nichts. Obwohl
Ilka wieder als Favoritin ins Rennen über 100 Meter Freistil ging, hatten sich tausend unbekannte Wesen in ihrem Bauch versammelt. Sie krabbelten wild durcheinander. Es
kribbelte und rumorte in ihrem Magen. Ilka wusste, dass sie diesem Unbehagen nur mit einem Mittel beikommen konnte: Schwimmen.
Wenn Ilkas Fingerspitzen die Wasseroberfläche teilten, verschwanden die Kitzelbiester blitzartig, gerade so als ob sie wasserscheu
wären. Im Wasser war Ilka in ihrer Welt. Dort regierte sie über ihren Körper und seine Bewegungen. Die ersten Meter verflogen
immer besonders schnell. Alle Gedanken und Gefühle konzentrierte sie dann auf den Versuch, möglichst schnell den passenden
Rhythmus zu finden.
Ilka beendete ihre Aufwärmübungen und sprang senkrecht ins Wasser, um sich noch eine Weile einzuschwimmen. Da entdeckte sie
Thuy auf der anderen Seite des Beckens. Gern wäre Ilka hinübergelaufen, um zu fragen, wie es ihr ging. Doch das Einschwimmen
war gleich zu Ende und unmittelbar danach war Ilka dran. Sie hoffte, später noch die Gelegenheit zu finden, mit Thuy zu sprechen.
Außerdem sah sie, dass Lennart gerade hinter ihr herlief und ihr auf die Schulter klopfte. Thuy drehte sich um und für einen
Moment starrte Lennart sie nur an.
Ilka musste grinsen. Zu gern hätte sie jetzt der Unterhaltung gelauscht. Doch sie musste ihre Konzentration auf den Wettkampf
lenken.
Währenddessen bemühte sich Lennart, mit Thuy ins Gespräch zu kommen.
»Äääähm«, stotterte er. »Schön, dich wiederzusehen! Machst du hier mit?« So eine doofe Frage!, fiel ihm im gleichen Moment
ein. Ausgerechnet Thuy, die sie gerade erst aus dem Wasser gerettet hatten! Außerdem stand Thuy in Jeans und T-Shirt vor ihm und nicht im Schwimmanzug. Wie also sollte sie hier mitmachen? Thuy war ganz offensichtlich genau wie er nur als
Zuschauerin gekommen. Lennart biss sich auf die Lippen. Erst denken, dann reden!, ermahnte er sich.
Doch Thuy nahm ihm die doofe Frage keineswegs krumm, sondern antwortete ganz ernsthaft: »Na ja, eigentlich wäre ich gerne
dabei! Aber meine Eltern wollen nicht, dass ich schwimme. Und seit dem Vorfall am See haben sie es mir sogar strengstens verboten!«
»Aha«, sagte Lennart nur. Eigentlich konnte er die Eltern verstehen. Andererseits wusste er, dass man gerade nach solchen
Vorfällen sofort weitermachen musste, um nicht sein ganzes Leben lang Angst vor einer Wiederholung des Unglücks mit sich herumzuschleppen.
»Und deshalb soll ich weiter Badminton trainieren, wie meine Geschwister und wie meine Eltern früher«, fuhr Thuy fort und
sah sich um. »Mein Vater ist auch da. Er will sich noch mal bei Ilka bedanken und entschuldigen, dass er so barsch war.«
»Ein schlechter Moment!«, rutschte es Lennart heraus. Mit einem Kopfnicken zeigte er auf Ilka im Wasser.
Thuy verstand. Gemeinsam gingen sie Richtung Tribüne, wo die anderen Asse bereits saßen.
Jabali, Michael und Linh freuten sich auch, Thuy wiederzusehen, und riefen und winkten von ihren Plätzen aus. »Thuy, komm
doch zu uns! Hier ist noch Platz.«
Im gleichen Moment kam Thuys Vater mit einem Bonsai in der Hand auf die beiden zu und sagte etwas zu Thuy.
Lennart verstand nichts.
Thuy übersetzte auch nichts. Stattdessen schüttelte sie den Kopf und zeigte auf Ilka, die nun aus dem Wasser herauskam, um
sich noch mal umzuziehen.
Thuy zwinkerte Lennart zu. »Du hast recht! Einungünstiger Moment! Dann müssen wir uns wohl das Rennen anschauen. Danach ist eine bessere Gelegenheit zum Bedanken, findest
du nicht auch?«
Lennart begriff und nickte mit Blick auf Thuys Vater heftig. Er freute sich, dass Thuy sich zu ihnen setzte. Ihr Vater gab
nach und setzte sich neben Linh, den Bonsai auf dem Schoß.
»Oh, ein Carpinus betulus! Ein ganz besonders schönes Exemplar, das Sie da haben. Sehr harmonisch gestaltet«, rief Linh begeistert
auf Vietnamesisch. Sie nutzte jede Gelegenheit, ein paar Worte in ihrer Muttersprache zu sprechen. Und über Bonsais konnte
sie sich immer auslassen. »Wirklich! Der starke Charakter Ihrer Hainbuche, toll sensibel gestaltet.«
Nur kurz huschte ein Ausdruck der Verwunderung über das Gesicht von Thuys Vater, dann schaute er schon wieder weg und rutschte
unruhig auf der Bank hin und her. Obwohl das
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