Abgetaucht
Rennen jeden Moment begann, beugte er sich zu seiner Tochter, flüsterte ihr etwas
ins Ohr und verschwand darauf, ohne einen weiteren Ton von sich zu geben.
»Was hat er?«, fragte Linh besorgt. »Hab ich etwas Falsches gesagt?«
Thuy schüttelte den Kopf. »Er behauptet, er erstickt in der Luft hier. Er kommt gleich wieder rein.«
Plötzlich tauchte Frauke vor Linh auf. »Nimm diesmal meine Kamera und mach ein Video von unserem Start! Du hast doch noch
keinen Ersatz, oder?«, lächelte sie Linh an und war schon wieder weg.
»Wirklich nett!«, freute sich Linh, die Frauke diese aufmerksame Geste niemals zugetraut hätte. Sie nahm die Kamera dankend
entgegen.
»Angeberin! Falsche Natter!«, schimpfte Michael nur nachtragend.
Thuy beobachtete alles, was sich in der Halle abspielte, ganz genau. »Schwimmen wäre auch mein Traum!«, sagte sie plötzlich
leise seufzend, mehr zu sich selbst.
Trotzdem hatte Lennart sie gehört. Diesmal schwieg er aber lieber, er wollte nicht noch eine unpassende Bemerkung riskieren.
Ilka stand schon vor dem Startblock. Rechts neben ihr ein Mädchen, das ihr noch nie ernstlichgefährlich geworden war. Links aber Frauke, deren Siegeswille an ihrem ganzen Körper abzulesen war. Ilka sah absichtlich nicht
zu ihr hin, obwohl sie spürte, wie Fraukes Blicke sie durchbohrten.
Auch Linh entgingen diese Blicke nicht. »Den Start würde ich so gern mit meiner eigenen Kamera aufnehmen!«, trauerte sie ihrer
gestohlenen Kamera nach. Sie wusste nicht, wie sie möglichst schnell an eine neue kommen sollte. Die Versicherung wollte sie
nicht ersetzen, weil die Kamera nicht fest eingeschlossen gewesen war. Wie sollte sie das auch beim Campen? Im Stillen hoffte
Linh auf ein kleines Wunder.
Der Starter forderte die Schwimmerinnen auf, sich auf die Startblöcke zu begeben.
»Jetzt geht’s los!«, rief Michael. »Hoffentlich macht Ilka Frauke richtig zur Schnecke!«
Die acht Mädchen gingen in Startposition, den Rücken nach vorne gebeugt, die Hände neben den Füßen.
Linh drückte den Auslöseknopf, das Videosignal blinkte.
Das Startsignal.
Die Mädchen sprangen ins Wasser. So weit wie möglich, ohne dabei zu tief einzutauchen, damit beim Auftauchen nicht zu viel
Zeit und Energie verloren ging.
Die Blicke der vier Freunde und Thuys waren gebannt auf Bahn vier gerichtet. Ilkas Bahn, die Bahn der Favoritin. Daneben auf
Bahn fünf Frauke mit der zweitschnellsten Meldezeit. Den Bestzeiten aller acht Starterinnen zufolge würden Ilka und Frauke
das Rennen unter sich ausmachen.
Der Start und die Wende waren Ilkas Stärke. Wenn sie den Start gut erwischte, hatte sie bereits zu Beginn ein, zwei Meter
Vorsprung.
»Da!« Michael sprang aufgeregt auf, als Ilkas Kopf als erster aus dem Wasser auftauchte. Doch neben ihr zog Frauke gleich.
Linh drückte den Auslöseknopf erneut. Damit stoppte sie die Aufnahme. Jetzt wollte sie Ilka ungestört beobachten und unterstützen.
Es war unmöglich, von ihrem Tribünenplatz aus festzustellen, ob Ilka oder Frauke die Nase vorn hatte, genauer gesagt die Fingerspitzen.
Ihr Abstand war zu knapp. Und daran änderte sich auchbis zur Wende nichts. Ilka gelang es noch nicht, ihre Führungsposition zu erkämpfen.
»Los, Ilka!«, brüllte Jabali, »Bei der Wende holst du sie dir! Los! Mach schon!« Er drückte Ilka die Daumen und fuchtelte
mit seinen geballten Fäusten.
»Die schaaaaaffst du!«, grölte Michael.
Lennart hatte sogar eine Knatterrassel dabei, die er jetzt in Turbogeschwindigkeit herumwirbelte, sodass Thuy sich erschrocken
die Ohren zuhielt. »ILKAAAAA! ILKAAAA!«
Ilka und Frauke wendeten gleichzeitig. Doch Ilka war einen Tick schneller. Nach der Wende hatte sie einen winzigen, aber sichtbaren
Vorsprung gewonnen.
»Sie legt jetzt schon an Tempo zu. Seht ihr?« Jabali klatschte im Takt ihrer Armzüge und stampfte mit den Füßen auf den Boden,
gerade so als ob er auf diese Weise Ilka noch mehr antreiben könnte.
»Den Schlusssprint schon kurz nach der Wende?«, wunderte sich Thuy. »Da reicht ihr hinten die Kraft und die Luft nicht!«
»Und ob!«, widersprach Michael. »Da kennst du Ilka schlecht.«
Doch! Thuy hatte Ilkas Kraft und Ausdauer ihr Leben zu verdanken. Trotzdem hatte sie den Eindruck, Ilka hatte den Spurt zu
früh angesetzt.
Linh hielt einen Moment inne und wunderte sich, welch enorme Fachkenntnis Thuy besaß. Erstaunlich für eine, die nicht schwimmen
durfte.
»Ilka! Du schaffst das! Ilka-Ilka!«,
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