Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
ist!“
„Nicht leicht fällt es mir, lieber Walram“, begann der Thüringer. „Besser erzählt es sich davon, wie man siegte als wie man davonlief. Ihr wisst ja, eure Bedingung in Saalfeld war, dass sich die Lothringer mit euch vereinigen würden. Herr Heinrich, den ich begleitete, machte sich also nach Chèvremont auf – und alles ging gut. Er konnte Herzog Giselbert für seine Sache begeistern, vor allem aber Herzogin Gerberga … Ihr wisst wohl, die Schwester des Königs …“
„Eine Frau wie ein Mann!“, entfuhr es dem Dicken.
„Und eine Schönheit! Wir alle lagen ihr zu Füßen. Sie schlug sich entschieden auf Heinrichs Seite, half selbst, so schnell wie möglich das Heer aufzustellen, reiste dazu von Burg zu Burg, von Abtei zu Abtei … kurz, sie und der Herzog hatten Erfolg, und schon nach zwei Wochen war die Streitmacht der Lothringer am Sammelpunkt.“
„Unglaublich! Ihr sagt: dreitausend Mann?“
„Oder mehr. Nun hört weiter. Noch waren nicht alle, die wir erwarteten, zur Stelle … da plötzlich erschien Agina im Lager bei Birten. Großes Erschrecken! König Otto befand sich bereits in der Nähe, marschierte mit einem Heer zum Rhein! Doch gleich darauf großer Jubel: Der König hatte nur tausend Kämpfer, war uns weit unterlegen. Herr Heinrich drängte darauf, ihm gleich entgegenzuziehen. Herzog Giselbert zögerte noch, wollte abwarten, bis alle Aufgebotenen eingetroffen waren. Aber da wird gemeldet: Der König, der am anderen Ufer des Rheins ein Lager bezogen hat, lässt seine Truppen übersetzen. Die ersten Boote mit Gepanzerten haben schon angelegt. Was tun? Warten, bis alle herüber sind oder gleich angreifen? Die für den Angriff sind – Prinz Heinrich und auch ein paar Herren aus Lothringen –, setzen sich durch. Befehl zum Abmarsch. Wir erreichen das Rheinufer, als gerade wieder |211| Boote mit Königlichen festmachen. Und da ist es auch schon so weit – wir rücken vor. Die Ersten geraten aneinander, das große Hauen und Stechen beginnt. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Vier-, fünftausend gepanzerte Reiter auf einem schmalen Uferstreifen des Rheins? Aber wozu Euch Einzelheiten schildern … Ihr wisst Bescheid, Ihr habt ja wohl selbst in manchem harten Gefecht Euern Mann gestanden.“
„Das will ich meinen!“
„Anfangs wogt der Kampf hin und her. Aber dann gewinnen wir, Giselberts und Heinrichs Leute, die Oberhand. Unsere Pferde sind unter Lanzenstichen zusammengebrochen. Trotzdem stürmen wir vorwärts, über Leichen hinweg, das blutige Schwert in der Hand, teilen links und rechts Hiebe aus. Doch was ist das? Hinter uns schreien sie plötzlich: ‚Zurück! Sie greifen von hinten an! Rettet euch! Rettet euch!‘ Tatsächlich – da sehen wir, wie sie in unserem Rücken auf uns eindringen. Verwirrung! Wohin? Die meisten machen gleich kehrt und schon werden wir alle mitgerissen – nach hinten. Immer lauter die Schreie: ‚Zurück! Zurück! Flieht! Rettet euch!‘ Da nützt aller Heldenmut nichts – alles sinnt nur auf Rettung – die wildeste Flucht ist im Gange. Oh Schmach! Wen Gott verlässt, der kann sich nur noch auf seine schnellen Beine verlassen.“
„Wir wussten ja immer, dass die Lothringer Feiglinge sind“, sagte Walram. „Trotzdem: So viele gegen so wenige …“
„Es war ja nicht nur die Feigherzigkeit der Lothringer. Ich sagte Euch schon, dass der König plötzlich machtvolle Hilfe erhielt.“
„Von wem denn? Kam noch Verstärkung heran?“
„Ganz recht. Auf dem Höhepunkt der Schlacht. Und was für eine!“
„Wer half ihm denn?“
„Gott im Himmel“, sagte Dadi mit ernster Miene und hob den Blick und die spitze Nase. „Er selbst!“
Der dicke Burgherr machte runde Augen. Doch im nächsten Augenblick fragte er zweifelnd: „Aber wie denn? Und woher wollt Ihr das wissen?“
Der kleine Thüringer beugte sich vor und senkte die Stimme.
„Ob Ihr es glaubt oder nicht: Ich sah mit eigenen Augen, wie König Otto Gott um Hilfe anrief.“
„Aber sagtet Ihr nicht, der König sei gar nicht …“
|212| „Ja, ja! Er war am anderen Ufer des Rheins zurückgeblieben. Wollte, wie es üblich ist, unter den Letzten hinübergehen. Konnte jetzt eigentlich nur hilflos verfolgen, wie seine Truppe vernichtet wurde. Doch was soll ich Euch sagen … Wie ich so mit den anderen zurückweiche, immer am Ufer entlang … da sehe ich plötzlich auf der anderen Seite des Rheins einen hellen Lichtschein. Und mitten in diesem Lichtschein bemerke ich einen Mann auf den
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