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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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lebhaftesten Gespräche im Gange, niemand klagte jetzt noch über Müdigkeit.
    Heinrich war zwei Tage zuvor mit einer Gefolgschaft von fünfzig Reitern eingetroffen. Der Burgvogt kannte ihn und hatte ihn nach einigem Zögern eingelassen. Später fürchtete er, einen Fehler gemacht zu haben, denn er wusste ja, dass sein Herzog mit König Otto zerfallen war, der seinen Bruder geschickt haben konnte, um |204| unter dem Vorwand eines freundschaftlichen Besuchs eine der wichtigsten lothringischen Burgen in seinen Besitz zu bringen. So war er erleichtert, als er den beargwöhnten Gast mit dem Herzogspaar in glücklichem Einvernehmen sah.
    Gerberga widmete sich ihrem sieben Jahre jüngeren Bruder mit zärtlicher Hingabe. Sie wich nicht von seiner Seite, drückte ihm immer wieder die Hand, küsste ihn, schmiegte sich an seine Schulter. Bei seiner Geburt hatte sie zusehen dürfen, damit sie, wie ihre Mutter es wollte, schon früh erfuhr, wofür Gott der Herr seine weibliche Gefolgschaft bestimmt und welche Lasten er ihr auferlegt hatte. Als er heranwuchs, spielte sie mit dem Knaben, doch als er acht Jahre alt wurde, musste sie schon den Königshof verlassen, um Herzogin von Lothringen zu werden. Danach sah sie ihn nur noch wenige Male, wenn sie mit Giselbert der Einladung ihres Vaters zum Osterfest oder zu einem Hoftag folgte. Im Trubel solcher Ereignisse umarmten sich die Geschwister nur kurz und kümmerten sich dann kaum umeinander.
    Das Erschrecken des ersten Augenblicks ihrer erneuten Begegnung nach fast drei Jahren, als er ihr wie ein Wiedergänger des Vaters erschien, wirkte nach, doch stellte die Herzogin bald fest, dass die verblüffende Ähnlichkeit von Vater und Sohn nur eine äußerliche war. Es fehlte dem hoch aufgeschossenen Jüngling noch manches zur kraftvollen Heldengestalt König Heinrichs und seinen ebenmäßigen Zügen ermangelte es an Ernst und Festigkeit. Sein allzu ungezwungenes, großsprecherisches Auftreten war eher das eines verwöhnten Prinzen, auch sein an Albernheit grenzender Witz missfiel ihr. Andererseits bemerkte sie, dass er damit Erfolg hatte, nicht nur bei seinen eigenen Leuten, auch bei den Lothringern. Sie erinnerte sich, als Heranwachsende am sächsischen Hofe oft davon reden gehört zu haben, dass ihr bewunderter Vater in seiner Jugend ein Prahler und Raufbold war, der nichts als tolle Streiche im Kopfe hatte, und dass er erst im vorgeschrittenen Mannesalter, unter der Bürde seiner Pflichten als Herzog und König, zu seiner viel gerühmten Vollkommenheit reifte. Warum sollte der Sohn, der seinen Namen trug, nicht auch darin sein Abbild sein?
    Während Heinrich beim angeregten Geplauder Becher um Becher leerte, fand Gerberga, die wachen Sinnes blieb, bald heraus, dass die Mutter, die ihre anderen Kinder, vor allem die Töchter, eher streng behandelt hatte, nach wie vor mit höchster Leidenschaft |205| an ihm hing und nichts inniger wünschte, als ihn doch noch auf dem Thron zu sehen. Und er machte auch kein Hehl daraus, dass sie ihm dabei nicht nur mit ihren Gebeten behilflich sein wollte. Begeistert erzählte er von dem Fest auf der Burg Saalfeld, wo er „dank Mutters Großzügigkeit“ mit vollen Händen Geschenke verteilen konnte. Mindestens viertausend Gepanzerte, versprach er, würden sich gegen Odda erheben – er, Heinrich, brauche nur das Zeichen zu geben.
    Gerberga bemerkte, dass Giselbert, der mit dem Becher in der Hand in der Halle umherging und sich mit diesem und jenem unterhielt, immer wieder gespannt zu ihr herüber sah, während sie mit ihrem Bruder sprach. Mit seinen Blicken wollte er sie wohl an das Gespräch auf dem Schiff erinnern. Sollte er Recht gehabt haben? War Heinrich der Mann, der die Leiter hielt, auf der das lothringische Herzogspaar aufsteigen würde – zum Thron des Ostfränkischen Reiches? Brachte er – freigebiger Sohn des geliebten Königs und diesem so ähnlich – eine solche Menge Vasallen hinter sich, dass Odda mit seiner eigenen Gefolgschaft nicht einmal in Sachsen überlegen war? Würde er aber, war Odda besiegt und entthront, nicht aufgrund seiner Jugend und offensichtlichen Unreife bei einer Königswahl scheitern? War dann nicht der Herzog, der mit der Tochter des großen Heinrich vermählt war, der Erste am Thron – vorausgesetzt, er übernahm jetzt bei den Kämpfen die Führung?
    Gerberga lief bei diesem Gedanken ein wohliger Schauer über den Rücken. Als Giselbert wieder zu ihr herüber sah, nickte sie ihm bedeutsam zu.
    In dieser Nacht

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