Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Knien, der zum Himmel blickt und in der Faust eine Lanze schwingt. Und wie ich zum zweiten Mal hinsehe, erkenne ich ihn: Es ist König Otto! Er betet. Er fleht zum Herrn da oben. Und die Lanze … das ist die berühmte heilige Lanze. Von ihr geht das Licht aus. Ihr wisst, was es mit der heiligen Lanze auf sich hat?“
„Nichts Genaues … ich habe gehört …“
„Es ist eine kostbare Reliquie. Eine der kostbarsten überhaupt. Der heilige Mauritius kämpfte mit ihr, sie hat göttliche Wunderkraft. Denn – denkt nur – in ihre Spitze ist ein Nagel vom Kreuz unseres Heilands Jesus Christus eingeschmiedet. Schon der Vater des Königs, Herr Heinrich, besaß sie und er hat mit ihr alle Schlachten gewonnen. Als ich den König mit der Lanze sah, wusste ich gleich, was uns geschehen war. Gott selber war es, der seinen Gesalbten beschützte und uns zum Rückzug zwang!“
„Dann war es Gott, der euch zurief: ‚Zurück! Zurück!‘“, fragte der Dicke verblüfft.
Dadi, der auf diese Frage nicht gefasst war, dachte einen Augenblick nach.
„Hm … ja, er war es, gewissermaßen. Das heißt, es war natürlich nicht seine eigene Stimme. Sein Geist … der heilige Geist … er fuhr in einige gläubige Männer, die diese Rufe ausstießen und damit Verwirrung in unsere Reihen brachten.“
„Wenn man das glauben könnte“, brummte der Burgherr.
„Glaubt es nur! Denn nun ist es erwiesen: Jeder Versuch, König Otto die Macht zu nehmen, stößt auf den Widerstand des Himmels. Der König hat das Heil und die Gnade. Kein noch so starkes, überlegenes Heer kann ihn besiegen. Wer sich auflehnt, ist zur Hölle verdammt und nimmt ein schreckliches Ende. So wie der bedauernswerte Herr Heinrich.“
„Seid Ihr ganz sicher, dass er tot ist?“
„Vollkommen“, bestätigte der Thüringer mit einem tiefen Seufzer. „Ich focht an seiner Seite. Er starb als Held. Obwohl die |213| Schlacht nicht mehr zu gewinnen war, hielt er bis zuletzt unter seinen Feinden blutige Ernte. Doch dann überwältigte ihn ihre Übermacht. Unter Lanzenstichen und Schwerthieben sank er ins Gras und gab mit gebrochenem Auge den Geist auf. Wir hatten vergebens versucht, ihn noch herauszuhauen.“
„Ihr selbst habt aber nichts abgekriegt“, stellte Walram fest.
„Oh, wenn Ihr wüsstet!“, sagte Dadi, den diese Frage nicht in Verlegenheit brachte. „Wenn Ihr wüsstet, wie es hier unter meinem Panzerhemd und unter meiner Hose aussieht. Meine Brust, mein Unterleib … alles ist mit Wundbinden umwickelt. Auch mein rechter Oberschenkel … Zum Glück ist keine der Wunden tief und lebensgefährlich. Wenn Ihr mir nicht glaubt, sollt Ihr sie sehen …“
„Nein, lasst nur … nicht nötig … ich glaube Euch …“
„Nur deshalb geriet ich ja in Gefangenschaft. Ich konnte nicht weiter, lag in Ohnmacht. Man brachte mich fort. Als ich erwachte, befand ich mich im Lager des Königs. Sie hatten uns vom Schlachtfeld geborgen, in der Hoffnung, dass wir noch brauchbar seien, dann aber die schwerer Verwundeten und Sterbenden einfach irgendwo hingeworfen. Da hatte ich nun zum zweiten Mal Glück. Herr Agina, der wieder die Gunst des Königs genießt, ging vorüber und erkannte mich. Er ließ mich versorgen und als ich mich etwas erholt hatte, trafen wir uns zu einer geheimen Unterredung. Er fragte mich, ob ich mich schon imstande fühlte, einen Auftrag zu übernehmen. Einen Auftrag, der vielen Edelingen und ihren Vasallen das Leben retten würde. Ich war noch sehr schwach – doch wie konnte ich ablehnen? Alle, die Heinrich folgen wollten, sind ja nun in höchster Gefahr, denn der König kennt ihre Namen … auch den Euren natürlich. Jeder weiß, wie rachsüchtig Otto ist. Ich sage nur: Eresburg! Wenn er Euch vor seinen Richterstuhl zieht und es stellt sich heraus, dass Ihr Euch schuldig gemacht habt …“
„Aber ich habe ja noch gar nichts getan!“, stieß der Dicke hervor, dem wieder der Schweiß ausbrach. „Womit habe ich mich schuldig gemacht? Ich war in Saalfeld dabei, das stimmt, aber das war die Versammlung, die unsere Schwureinung jedes Jahr im Winter dort abhält. Man isst, trinkt, redet, treibt manchmal, zum Spaß, ein bisschen Unfug … tut aber nichts Unrechtes. Ich wusste ja gar nicht, dass der junge Herr Heinrich dort auftauchen würde. Und als er |214| anfing, Geschenke zu verteilen … sollte ich mich da zieren? Seht Euch hier um, ich bin nicht reich, habe nur wenig Gefolgschaft, bringe uns gerade so durch …“
„Beruhigt Euch!“,
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