Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
eines Grabes Rätsel auf. Für einen Hund war sie jedenfalls zu groß. Hatten wir jemand gestört? Sollte hier jemand bestattet werden? Oder soll hier erst noch eine Leiche »entsorgt« werden? War es vielleicht unser Tatverdächtiger, der hier gegraben hatte? Auswertbare Spuren, die uns einen Hinweis hätten geben können, fanden sich nicht. So blieb uns nichts anderes übrig, als die vermeintliche Grabstätte in nächster Zeit im Auge zu behalten. Eine Aufgabe für die örtliche Polizei unter Einbindung des zuständigen Forstaufsehers.
Am späten Nachmittag war es dann soweit. Die Spannung stieg, helle Aufregung herrschte, als der Fund einer Leiche gemeldet wurde. Aber die aufkeimende Euphorie flaute schnell wieder ab, da der Zustand der Leiche darauf hindeutete, dass sie schon seit sehr langer Zeit hier hängen musste. Es war, wie sich nach einigen Tagen erwies, eine junge Krankenschwester aus dem nahegelegenen Nervenkrankenhaus, die schon seit zwei Jahren vermisst wurde. Sie trug noch ihre roten Stiefelchen. So merkwürdig es klingen mag, aber die Angehörigen der jungen Frau waren glücklich. Denn nichts war schlimmer für diese Menschen als die Ungewissheit über das Schicksal der Vermissten. Aber nun hatten sie wenigstens ein Grab, das sie aufsuchen konnten. Allein schon deshalb hatte sich der Aufwand gelohnt, fand ich.
Jeden Morgen hielt die Sonderkommission eine Besprechung
ab, in der die neusten Entwicklungen thematisiert wurden. Die Überprüfung der Finanzen unseres Beschuldigten hatten nichts ergeben. Niemand konnte widerlegen, dass er diese 100 000 Euro tatsächlich in der Wohnung seines Onkels gefunden hatte. Inwieweit er sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht hat, sollten andere entscheiden. Glaubhaft war es jedenfalls, dass sein Onkel so viel Geld besessen haben mochte. Immer wieder kommt es vor, dass alte Menschen über Jahre hinweg größere Geldbeträge gehortet und versteckt haben. Ich selbst hatte einmal 90 000 D-Mark im kargen Zimmerchen eines vermeintlich armen Rentners gefunden, der sich aus dem Fenster gestürzt hatte, weil er in ein Altenheim sollte und fürchtete, man würde ihm dort sein Erspartes abnehmen. Der alte Mann hatte sich laut seiner Vermieter »nicht das Schwarze unter den Nägeln« gegönnt und sein ganzes Geld gehortet. Obwohl er keine Angehörigen hatte und doch gewusst haben müsste, dass das letzte Hemd nun mal keine Taschen hat. Ich habe nie verstanden, warum Menschen selbst dann noch so raffgierig sein können, wenn sie schon den Tod vor Augen haben. Kann jeder so werden?
Die Stimmung innerhalb der SOKO sank allmählich auf den Tiefpunkt. Bei einigen kamen sogar Zweifel auf, ob Klaus F. wirklich der Täter war und ob es nicht doch Thomas W. gewesen sein könnte. Immerhin mache es doch keinen Sinn, dass Klaus F. auch noch diese Geräte aus der Wohnung der Elisabeth S. gestohlen haben soll. Und wo war sein Motiv? Er hatte doch selbst genug Geld. Warum hätte er zwei Menschen ermorden sollen, um an lumpige 140 000 Euro zu kommen, wenn er so gut situiert war?
Da ich aber ein hoffnungsloser Optimist bin, manchmal auch ein Zweckoptimist, und eigentlich immer gute Laune verbreitet habe, konnte ich die Stimmung wieder heben. Die allermeisten ließen sich letztendlich von meiner Zuversicht anstecken und arbeiteten unermüdlich und engagiert weiter.
Mindestens jeden zweiten Tag ließ ich Klaus F. in die Räume der Mordkommission überstellen und redete mit ihm. Sein Anwalt hatte dankenswerterweise nichts dagegen, und wie erwartet, kam Klaus F. auch immer sofort. Natürlich wusste ich, dass er mich insgeheim aushorchen wollte.
Die zweite Woche ging zu Ende, ohne konkrete Ergebnisse. Innerhalb der Polizei mehrten sich die kritischen Stimmen. Insbesondere gegen meine Person, die ich es gewagt hatte, einen Kollegen als Zeugen vorzuladen, um ihn dann festzunehmen. Viele empfanden dieses eigenmächtige Vorgehen als arrogant und anmaßend. Dass nicht ich, sondern der Staatsanwalt den Haftbefehl beantragt hatte und eigentlich er die Verantwortung trug, spielte dabei keine Rolle. Initiator war ich und damit basta! Ich war den Leuten nicht einmal böse und konnte sie sogar verstehen. An ihrer Stelle hätte ich die Sache womöglich ebenso gesehen. Mir selbst war auch wirklich nicht wohl in meiner Haut, und je mehr Zeit verstrich, ohne dass wir Fortschritte vorweisen konnten, desto unwohler wurde uns allen.
Dann war es so weit. Endlich! Es war Freitag, 9. August, 2.00
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