Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
Uhr, als das Telefon läutete. Wie immer dauerte es einen Moment, bis mich meine Frau wachgerüttelt hatte. Der Kriminaldauerdienst war am Apparat. Es gehe um den Fund zweier Leichen in einem unwegsamen Waldgebiet in der Nähe von Dachau. Es handle sich um einen Mann und um eine Frau. Bei beiden Leichen fehlten Kopf und Hände. Die Kollegen der Kriminalpolizei in Fürstenfeldbruck meinten, bei den Toten könne es sich um unsere Vermissten Elisabeth S. und Thomas W. handeln. Zumindest stimme die Kleidung des Mannes mit der Beschreibung überein.
Ich sprang aus dem Bett, als ob ich 20 Jahre jünger wäre. Noch nie war ich so schnell. Mit Blaulicht und Martinshorn raste ich durch das nächtliche München zur Wohnung der diensthabenden Rechtsmedizinerin und von dort mit ihr zum Auffindungsort, den wir ohne Hilfe der örtlichen Polizei nie gefunden hätten.
Niemals zuvor und auch nie mehr danach habe ich einen so bestialischen Geruch wahrgenommen wie in diesem Waldstück. Wir waren noch 300 Meter entfernt von der Stelle, an der die Leichen lagen, als wir sie schon rochen. Seit der Vermissung am Dienstag, 16. Juli, waren jetzt knapp vier Wochen vergangen. Sollten die Leichen seit jenem Zeitpunkt hier gelegen haben, würde das bei dieser Sommerhitze die Intensität des Geruches erklären, überlegte ich, während wir den Weg hochgingen.
Die Torsos waren etwa fünf Meter vom Weg entfernt im Unterholz abgelegt, an einer Stelle, die etwas lichter war als die Umgebung, die vor allem aus dicht gewachsenen Nadelhölzern bestand. Im Grunde genommen waren es zwei dunkelfarbige Klumpen. Der Gestank war schier
unerträglich. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum man sie nicht schon früher entdeckt hatte. Sicher, es war ein riesiges Waldgebiet und der Fundort lag wirklich sehr abgelegen. Möglich, dass hierher nicht einmal Waldarbeiter oder Forstleute kommen. Letztendlich war die Auffindung einem Himbeersammler zu verdanken, der allerdings bereits am gestrigen Donnerstagmorgen hier vorbeigekommen war. Seitdem waren 24 Stunden vergangen. »Wie das?«, wollte ich von einem örtlichen Kollegen wissen. Der klärte mich darüber auf, dass der Himbeer-Freund geglaubt hatte, es handle sich um verendetes Wild, dass da so stinken würde. Deshalb habe er auch gar nicht nachgesehen im Gebüsch und habe erst am Abend, als er im Dorfgasthaus den Forstgehilfen getroffen habe, diesem von seiner Feststellung erzählt. Der sei schließlich gegen 20.00 Uhr hierher gefahren und habe die Leichen entdeckt. Dann sei der Polizeiapparat angelaufen.
Vom Weg aus konnte man gar nicht sehen, dass die Köpfe und Hände fehlten. Insofern war ich auf die Beschreibung angewiesen, die mir kurz darauf die Rechtsmedizinerin gab. Beide Köpfe seien vermutlich scharfrandig abgetrennt worden, ebenso alle Hände. Der Torso der Frau sei nackt, es lägen aber einige Kleidungsstücke daneben. Sonstige Spuren von Gewalteinwirkung wie Stich-, Schlag- oder Schussverletzungen könne sie nicht beurteilen, dazu müssten wir die Obduktion abwarten. Der Verwesungszustand könne einer Liegezeit von etwa vier Wochen durchaus entsprechen.
Die Leiche des Mannes sei bekleidet. Jeans, Poloshirt Marke »Lacoste«, Turnschuhe Marke »Adidas«. Das entsprach exakt der Kleidung, die Thomas W. getragen haben
könnte, wie die Angehörigen nach Durchsicht seiner überschaubaren Garderobe festgestellt hatten.
Bis die Leichen geborgen und zum Institut für Rechtsmedizin würden abtransportiert werden können, würden noch mindestens zwei bis drei Stunden vergehen, überlegte ich. Mit dem örtlichen Einsatzleiter vereinbarten wir eine gründliche Absuche des Waldgebietes in einem Umkreis von 500 Metern um die Leichen herum, einer meiner Leute blieb vor Ort. Irgendwo mussten doch die anderen Leichenteile sein. Dass Leichenteile von Tieren verschleppt werden, ist bekannt. Aber ausgerechnet zwei Köpfe und vier Hände, während ansonsten eigentlich keine Spuren von Tierfraß festzustellen waren, das machte irgendwie keinen Sinn.
Jetzt war der Tag gekommen, an dem sich erweisen würde, ob meine suggestiven Bemühungen bei unserem Beschuldigten auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Dazu war es ganz wichtig, dass er nicht vorinformiert wurde, sondern dass ich ihn persönlich damit konfrontieren konnte. Von den Printmedien drohte diesbezüglich keine Gefahr, denn die Freitagsausgaben waren längst gedruckt. Aber Rundfunk und Fernsehen waren vor Ort, und ich wusste nicht, ob Klaus F. in seiner
Weitere Kostenlose Bücher