Abgründig (German Edition)
Mädchen flog sein Blick hastig vorbei. Zwei von ihnen quittierten das mit Getuschel und Gekicher, woraufhin Lucas den Kopf senkte und seine Schuhe betrachtete.
Ein ohrenbetäubendes Pfeifen lenkte ihre Aufmerksamkeit in Richtung Bühne, wo sich jemand an einem Mikrofonständer zu schaffen machte. Als kurz darauf Jo auf die Bühne kam, wurde es still auf der Wiese.
Seine Ansprache dauerte etwa eine Viertelstunde, in der sie unter anderem erfuhren, dass sie in den ersten Tagen einige Erlebniswanderungen machen würden, das Klettern aber für beide Gruppen auf die kleinen Übungswände im Camp beschränkt sein sollte.
»Was soll denn der Quatsch?«, maulte Ralf und sah zu Tim hinüber. »Ich krabble doch nicht tagelang mit dem Kindergarten an diesen lächerlichen Miniwändchen rum. Die spinnen doch.«
Janik zuckte mit den Schultern. »Wenn die das so geplant haben, wirst du es nicht ändern können.«
Ralfs Miene veränderte sich auf eine seltsame Art, dann legte sich erneut ein breites Grinsen über sein Gesicht. »Das werden wir ja sehen.«
Als sie in ihre Unterkunft zurückkamen, lag der Schwarzhaarige noch immer mit dem Gesicht zur Wand auf seinem Bett. Tim wurde bewusst, dass er nicht bei der Infoveranstaltung gewesen war. Er betrachtete den Rücken des Jungen und überlegte, was er überhaupt im Camp wollte, wo ihn offensichtlich nichts interessierte und ihm alles auf die Nerven ging.
Plötzlich riss Janik ihn aus seinen Gedanken, als er ihn von der Seite mit dem Ellbogen anstieß und grinsend mit dem Kopf zur Tür deutete. Ralf stand mit zwei der Mädchen im Eingang, die sich zuvor auf der Wiese als Jenny und Julia vorgestellt hatten. Jenny war höchstens eins sechzig groß, ihre auffallend ausgeprägten Wangenknochen und die etwas schräg stehenden dunklen Augen gaben ihr ein leicht asiatisches Aussehen, was durch den Bronzeton ihrer Haut noch unterstrichen wurde. Sie hatte ein hübsches Gesicht, in dem nur der extrem hohe Haaransatz etwas störte, der die Stirn übermäßig breit erscheinen ließ.
Julia war nur unwesentlich größer, unterschied sich sonst aber stark von Jenny. Ihre hellblonden Haare fielen ihr bis weit über den Rücken und sie hatte ein helles, stark geschminktes Puppengesicht. Die eckig gefeilten Spitzen ihrer künstlichen, knallroten Fingernägel reichten weit über die Fingerspitzen hinaus, und Tim fragte sich, wie man damit im Alltag zurechtkam. Sie machte einen netten Eindruck, war alles in allem aber der Typ Mädchen, auf den sicher viele Jungs flogen, der ihm aber überhaupt nicht gefiel.
Ralf deutete selbstgefällig mit einer umfassenden Geste in den Raum. »Na, was habe ich euch gesagt? Die Hütte ist größer als eure.« An Tim und die anderen gewandt, erklärte er: »Ich war gerade mal drüben bei den Mädels. Die haben dort sogar noch weniger Platz, also treffen wir uns heute Abend hier.«
»Treffen?«, hakte Tim nach, woraufhin Ralf den Mädchen zuzwinkerte und dann nickte.
»Ja, ich habe vorgeschlagen, heute Abend ein kleines Kennenlerntreffen zu veranstalten. Glücklicherweise habe ich was zum Trinken dabei, wir müssten nur noch Cola und O-Saft zum Verdünnen besorgen.«
»Ist das denn erlaubt?«, fragte Fabian, der auf seinem Bett saß und die Beine baumeln ließ.
»Was, sich zu treffen?« Ralf hob die Schultern und sah den Jungen verwundert an. »Was soll daran nicht erlaubt sein?«
Fabian verdrehte die Augen. »Ich gehe davon aus, dass du eben gemeint hast, du hast Alkohol dabei. Was sonst sollte man mit Cola oder Orangensaft verdünnen? Ich wollte wissen, ob das erlaubt ist.«
»Natürlich nicht, Klugscheißer.« Der Schwarzhaarige hatte sich auf den Rücken gedreht und starrte die Unterseite des Bettes über sich an. »Wenn du so schlau bist, sollte dir das eigentlich klar sein. Aber ihr Streberfreaks habt eben nur Ahnung von Mathe und Physik.«
Alle Gesichter hatten sich dem Schwarzhaarigen zugewandt, und wahrscheinlich wunderte sich nicht nur Tim über den plötzlichen Redeschwall des Jungen.
»Streberfreaks können nicht nur Mathe und Physik, sondern auch rhetorische Fragen stellen, aber damit können namenlose Freaks wahrscheinlich nichts anfangen«, konterte Fabian.
Wieder einmal wunderte Tim sich über Fabians Schlagfertigkeit und nahm sich vor, sich mit ihm auf keine Diskussionen einzulassen. Julia kicherte und sagte, an Jenny gewandt: »Der ist ja süß.«
Mit einem Ruck schwang der Schwarzhaarige die Beine aus dem Bett und setzte sich auf.
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